Weihnachtszeit in Indien

Ein anderes Indien

Mittlerweile steht das Christkind in 3 Tagen vor der Tür und wir haben Goa längst verlassen. Kerala und Goa sind gut ausgebaute Urlaubsgebiete im Süden Indiens und bei uns in der Heimat nicht unbekannt. Mit den zuvor bereisten Gebieten in Indien kaum zu vergleichen: Prima Straßen, eine vertraut erscheinende Infrastruktur und auffällig sauber.

In Kerala besucht uns übrigens der Touristikminister mit einer kleinen Schar Reporter, die dafür sorgt, dass sich in den Tagen danach etliche Inder über unsere Reise orientiert zeigen. Als Wohnmobilkarawane, aber auch mit zwei, drei Wohnmobilen fällt man hier unweigerlich auf und das Interesse der Menschen ist erstaunlich.

Wir reisen bis zur Südspitze Indiens und stehen zwei Tage später auch auf der Landzunge nach Sri Lanka. Hinduistische Hochburgen sorgen für einen kaum abreißenden inländischen Touristen- und Pilgerstrom.

Weihnachten ohne Mangelerscheinung

Hin und wieder sehen wir im Süden christliche Kirchen und Kathedralen. Lichterketten und Weihnachtssterne fallen auf. Dennoch fehlt mir hier bei fast gleichbleibenden 30 Grad Celsius das vertraute Weihnachtsfeeling. Auch Weihnachtsmusik habe ich hier bisher nirgends gehört. Weihnachtsgebäck Fehlanzeige. Wir suchen aber auch nicht danach. Auf dieser Reise durch Indien kann ich sehr gut auf die vertrauten Attribute ohne Mangelerscheinungen verzichten.

Geburtstag weit weg von zu Hause

Mein 70. Geburtstag wird im Kreis der Gruppe mit einem abendlichen Büfett und einem gemütlichen Umtrunk anschließend rund um unser Wohnmobil gefeiert. Wer hätte gedacht, dass ich einmal in Indien groß Geburtstag feiern würde?! Die „normalen“ Geburtstage feiern Saradevi und ich ja schon lange allein, in dem das Geburtstagskind eine Überraschungsunternehmung plant. Runde Geburtstage finden schon mal mit Freunden bei Livemusik in einer Kneipe statt und mit der Familie trifft man sich zum Geburtstagsschmaus.

Hier werde ich mit Kerzenlicht, einer kleinen Musikauswahl und einem neuen Hut sowie einem Geschenk aus der Heimat geweckt und vom Wohnmobil nebenan erhalte ich eine Riesenportion Milchreis mit Zucker und Zimt. Bereits während des Tages gratulieren mir TeilnehmerInnen ganz individuell. Der Internetempfang ist an diesem Tag miserabel, so dass mich leider Glückwünsche nur über WhatsApp erreichen.

Mal wieder baden im Meer

Am Golf von Bengalen will ich eigentlich schon an der Südspitze ins Wasser springen. Die Umstände sorgen jedoch für eine gewisse Durststrecke und mein langersehntes Bad im Meer nehme ich erst zwei Tagesetappen vor Puri. Die Wellen sind prima, der feine Sandstrand ist allerdings nicht so aufmerksam gepflegt wie in Goa.

Unser Weg in den Norden des Subkontinents führt zum Teil an der Ostküste entlang, reicht aber auch bis nach  Hyderabad und ins weltgrößte Filmstudio (Bollywood). Auf diesem Weg erleben wir dann auch unseren ersten heftigen Monsunregen, der die Straßen im Nu unter Wasser setzt und die Menschen sich Schutz suchend unter Brücken und in die Häuser zwängen.

Ständige Vorsicht und gegenseitige Rücksicht

Obwohl die Straßen im Süden wirklich viel besser sind, ist weiterhin umsichtiges Fahren lebensnotwendig. Nach jeder Etappe bin ich erschöpft und meine täglichen 10.000 Worte habe ich fluchenderweise schon während der Fahrt annähernd verbraucht. Kaum einer von unserer Gruppe ist von kleineren, aber auch größeren Blessuren verschont geblieben. Bei uns ist es ein defekter Reifen und ein Blinklicht im Außenspiegel. Bei anderen Teilnehmern gehen Spiegel und Fenster zu Bruch, Dachaufbauten werden abgerissen, Solaranlagen und Bremssysteme versagen, ein Automatikgetriebe versagt und ein Frontschaden im Zuge einer Karambolage mit einem Wasserbüffel lässt das Ende der Reise befürchten. Dank vereinter Kräfte innerhalb der Gruppe und durch den Veranstalter, einschließlich zweier Heimflüge zur Ersatzteilbeschaffung innerhalb zweier Tage, kann bisher jeder Schaden behoben werden.

Etwas Schwund ist immer

Apropos Schäden: Uns gehört seit Beginn dieser Reise ein Multibrennstoffkocher. Diesen zu bedienen ist ein Abenteuer für sich, denn bisher haben wir ohne Gas den Wohnmobilalltag gemeistert. Bis Hyderabad habe ich eine leidlich steile Lernkurve, die dann allerdings ein abruptes Ende nimmt. Irgendwie gerät der Primuskocher mit dem Omnia Backofen darauf in Brand. Eine Tischplatte zeigt nun deutliche Gebrauchsspuren und der Korkuntersetzer wird als verkohlter Diskus entsorgt…

Familie und Teegebäck

Einige von uns haben sich in Richtung Naturpark abgesetzt und verbringen Weihnachten außerhalb der Gruppe. Wir werden mit dem Rest Heiligabend schrottwichteln und uns – mal wieder – von ausgedienten Utensilien nach einem gemeinsamen Weihnachtsessen trennen. Was werden wir stattdessen wohl ergattern?

Was ich zu Weihnachten in Indien doch etwas vermisse? Das liebgewonnene Teegebäck, das traditionell seit Jahrzehnten bei uns zum allseits geliebten Weihnachtsgebäck gehört, wird mir zum Knabbern beim Tee fehlen.

Naja, und natürlich das familiäre Zusammensein an Heiligabend und am dritten Feiertag! So ist eben Weihnachten in Indien!

Euer Manfred
Visakhapatnam, 21.12.2022