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Hochzeit mit einer Frucht?

Grenzroutinen

Vom Grenzort Raxaul dürfen wir dann schließlich aus Indien ausreisen. Die Formalitäten sind die immer gleichen, ein Stempel für uns und den Amigo auf der einen wie auf der anderen Seite. Ich bin mir nicht sicher, ob wir zwischenzeitlich Routine haben. Jedenfalls geht gefühlt alles etwas schneller. Vielleicht werden wir auch immer gelassener, was die besonderen, weniger strukturieren Arbeitsabläufe anbelangt. 

Mich ärgert, dass drei neugierige Zollbeamte in Sekundenschnelle mit ihren matschigen Schuhen im Amigo stehen – wir selbst haben es nun sieben Monate geschafft, die Schuhe auszuziehen…

Nach den Grenzformalitäten machen wir uns auf den Weg. Ein ATM, um nepalesisches Geld zu ziehen, ist schnell gefunden und auch ein landestypisches Lokal, in dem wir gemeinsam mit Ulrike und Wilhelm köstlich zu Mittag essen. Bei der Gelegenheit werden  wir gleich mit in die Küche zum Ofen genommen, um bei der Zubereitung zuzusehen. 

Bereits in diesem ersten Kontakt erlebe ich Nepalesen uns gegenüber als offen und interessiert, aber auf eine sehr angenehme, wenig aufdringliche Art. Das bleibt so auch im weiteren Verlauf unserer Reise durchs Land.

Mit gemischten Gefühlen

Ich bin mit gemischten Gefühlen nach Nepal gereist. Zum einen habe ich schon Vieles von der schönen Landschaft gehört und gesehen, aber auch von wachsenden Müll- und Verkehrsproblemen gehört. In der Grenzstadt werden wir gefühlt so begrüßt, wie in Indien verabschiedet. Ich nehme keine großen Unterschiede wahr. 

Doch je weiter wir ins Landesinnere kommen, desto positiver bin ich überrascht. Zunehmend liegt weniger Müll herum, im Zentrum von Katmandu quasi keiner mehr. Die Häuser und Gärten wirken gepflegt, wenn auch in den dörflichen Regionen ärmlich. Immer wieder gibt es auch Bordsteine und ein Maß an Infrastruktur, die ich in Indien oftmals vermisst habe.

Panorama pur

Bereits am ersten Tag fahren wir die Passstraße bis Daman und werden kurz vor unserem Ziel – einem Sportplatz – mit einem Blick auf die abendliche Himalayakette belohnt. Auch wenn es mich im klassischen Sinne nicht in die Berge, sondern ans Meer zieht, bin ich begeistert und erfreue mich nach jeder Kurve an der neuen Aussicht.

Der frühe Vogel fängt den Wurm

Am nächsten Morgen sehen wir zu, dass wir den Aussichtspunkt vor Sonnenaufgang erreichen, denn hier in Daman ist bei guter Sicht einer der wenigen Orte, um einen Blick auf den Mt.Everest zu erhaschen. Und was soll ich sagen, heute fängt der frühe Vogel tatsächlich den Wurm. Begeistert beobachte ich das Schauspiel von aufgehender Sonne und Wolken vor den Bergen des Himalayas, bis ich zu frieren beginne und wir über weitere Passstraßen nach Katmandu reisen.

Im Katmandutal

Das Katmandutal empfängt uns mit einer Dunstglocke, die wir durchfahren, um ins Getümmel der Großstadt abzutauchen. Ich bin direkt begeistert. Die Stadt gefällt mir gut. Moderne und alte Stadtteile gehen ineinander über. Katmandu wirkt gepflegt. In vielen Geschäften werden landestypische Produkte wie Klangschalen, Tücher, Thangkas, Götterfiguren usw. angeboten, aber auch Unmengen an Trekkingkleidung und es sind uns bekannte Marken vertreten. Lokale und Cafés laden zum Verweilen ein, für jeden Geschmack ist etwas dabei. Das haben wir schon lange nicht mehr erlebt und gönnen uns erst mal eine Pizza und einen Cappuccino. Viele Einheimische können sich das Ausgehen hier sicher nicht leisten. Und es ist tatsächlich das erste Mal seit langem, dass wir wieder vermehrt Touristen begegnen. Die durch Corona ausgelöste Durststrecke war lang. Der Tourismus läuft gerade erst wieder an.
Kurz nach unserer Ankunft in Katmandu schreibe ich Karin, unserer Ausbilderin in Klangmassage, dass wir vor Ort sind. Sie bereist Nepal regelmäßig, fördert Projekte und ist eine Kooperation mit einem Handel von Nepalprodukten eingegangen. Näheres über Dorje Handicraft hier.

Leider ist sie nicht selbst vor Ort, stellt aber einen Kontakt zu Niki, ihren Ziehsohn, und seiner Familie her sowie zu Madhu, einem traditionellen Thangka Maler aus Bhaktapur. Thangkas sind Rollbilder mit Motiven des Buddhismus, meist mit Aquarellfarbe auf Leinen gemalt.

Wir haben das Glück, uns an unserem freien Tag mit Madhu in seinem Atelier und mit Niki und Familie zuhause in Katmandu treffen zu können. 

Affen am Tempel

Am ersten unserer zwei Programmtage fahren wir morgens zum Affentempel. Mich überrascht, dass buddhistische und hinduistische Tempel direkt nebeneinander auf einem Gelände stehen und für einen nicht religiösen Menschen nur schwer zu unterscheiden sind. Wir erfahren, dass dies wohl in Nepal nicht unüblich ist. Nepalis beten eben dort, wo es passt, und jeder findet in seinem Alltag – abgesehen von allgemeinen Zeremonien – ein eigenes Ritual und Zeitfenster dafür. Tatsächlich sehe ich immer mal wieder Personen für kurze Zeit betend oder eine Opfergabe bringend an einem Tempel stehen. Mich begeistert diese Haltung, die Katholiken und evangelischen Gläubigen auch gut zu Gesicht stünde. Wenn Religionen oder Glaubenssätze zu eng und starr werden, sich dem Wandel der Zeit nicht stellen, werden sie aus meiner Sicht irgendwann unpraktikabel und können die Gläubigen nicht mehr erreichen. Das scheint hier so schnell nicht zu passieren?

Leichenverbrennung

In Pashupatinath, am Verbrennungsplatz, erlebe ich erstmals eine hinduistische Bestattungszeremonie aus nächster Nähe. Wir können von der anderen Seite des Flusses bzw. Wassers miterleben, wie die in Tücher gewickelten Leichen von ihren Angehörigen zur Waschung an die Wasserstelle und schließlich zur Verbrennungsstelle getragen werden. Die Familie hat in rituellen Handlungen die Möglichkeit, sind von dem oder der Toten zu verabschieden. Es werden Opfergaben gebracht, bis das Holz der Feuerstelle, auf der der Leichnam liegt, dann von den nächsten Angehörigen angezündet wird. Die Reste des Leichnams werden nach der Verbrennung ins benachbarte Gewässer gegeben. 

Das Ganze hat etwas sehr Friedvolles und Persönliches. Eigentlich eine schönere Zeremonie als bei uns, wenn auch gewöhnungsbedürftig – finde ich.

Ich fühle mich ein wenig wie „Harold and Maude“ im gleichnamigen Film, die die Passion teilen, auf fremde Beerdigungen zu gehen. Ich bin fasziniert und wäre gerne noch etwas geblieben. Auf dieser Reise habe ich viel über Zusehen und Anschauen gelernt. Hierüber habe ich noch viel zu Lernen, merke ich.
Überrascht hat mich, dass es auf dem Gelände auch ein Hospiz gab. Damit hatte ich nicht gerechnet.

Tibet ganz nah

An der großen Stupa in Bodnath kommen wir Tibet, oder vielmehr seiner Geschichte, ganz nah. Um die Stupa herum haben sich viele Exiltibeter angesiedelt, auch hohe Würdenträger. Zudem gibt es etliche tibetische Klöster in der Umgebung. Die Exiltibeter haben der Stupa, die aus dem 5. Jahrhundert stammt, zu neuer Bedeutung verholfen und sie nach dem Erdbeben 2015 auch wieder aufgebaut. 2016 wurde sie neu geweiht. 

Selten bin ich dieser Thematik so nah gekommen wie hier. Wie schon so oft auf dieser Reise denke ich, dass territoriale Ansprüche, Krieg, und Vertreibung keine Lösung sind. Grenzen sind etwas vom Menschen geschaffenes, letztlich eine Illusion. Dabei erleben wir heute, dass Probleme über die Grenzen hinaus existent und auch nur gemeinsam lösbar sind. 

Ich bin überzeugt, dass es Einheiten braucht, um handlungsfähig zu sein bzw. zu bleiben. Aber statische, sinnentleerte Grenzen und territoriale Ansprüche sind wenig hilfreich. Vielmehr geht die Energie für das Wesentliche (Klima- und Umweltschutz, Arten- und Ressourcenerhalt, Wasserwirtschaft, Müllentsorgung …) verloren.

Ereignisreiche Tage

Letztlich bummeln wir über den Darbar Squere, quasi durch die Altstadt, mit ihren alten Gebäuden und Tempelanlagen, die mehr oder weniger noch in Betrieb sind. 

Geschafft kehre ich zum Amgio zurück. Es ist mal wieder ein Tag voller Eindrücke, der zu Ende geht. Nach sieben Monaten als Reisende wird deutlich, wo der Unterschied zwischen Urlaub und Reisen ist. Reisen beinhaltet neben den vielen Eindrücken noch den ganz normalen Alltag, den ich als Urlauberin für ein paar Wochen auf ein Minimum reduzieren kann – Einkaufen, Kochen, Waschen, Putzen/Aufräumen…

Hochzeit mit einer Frucht

In Bhaktapur begegnen uns, neben vielen baulichen Zeugnissen  der einstigen Königstadt des Katmandutals mit heute 81.000 Einwohnern, viele kleine, hübsch zurecht gemachte Mädchen an der Seite ihrer Eltern. Dieser Tage werden die kleinen Mädchen mit einer Frucht oder auch einem Gott verheiratet. So übersetzt uns unser Reiseleiter, was vor sich geht.
Wahrscheinlich hört es sich für Nepalis auch ziemlich komisch an, dass wir den Leib Christi essen. Von daher übersetze ich für mich, dass die Mädchen offensichtlich in die Gemeinschaft der Gläubigen aufgenommen werden. Insgesamt gibt es mehrere dieser Rituale bis ins Erwachsenenalter – ähnlich wie bei uns ja auch mit den Sakramenten Taufe, Kommunion, Firmung und Hochzeit.
Die Mädchen sitzen mit ihren Eltern und oftmals sehr aufgeregten Müttern, auf Plätzen, umgeben von Opfergaben und rituellem Schmuck und warten auf den Priester. Leider haben wir nicht die Zeit, mit ihnen zu warten und der Zeremonie als Zuschauer beizuwohnen.

Diese kleine Stadt mit ihren vielen kleinen Gassen, den Kunsthandwerkern und Töpfern gefällt mir ausgesprochen gut. Sie strahlt, trotz ihrer historischen Bedeutung und altertümlichen Gebäude, eine kreative Lebendigkeit aus.

Eure Saradevi
Varanasi, 18.02.2023

Unserer Reise durch Nepal im Januar & Februar 2023

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