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Indien für Fortgeschrittene

Wieder in Indien

Schon beim Überqueren der Grenze ist schnell klar, dass wir wieder in Indien sind. Für die Abwicklung der Grenzformalitäten gibt es keine separaten Parkplätze, so dass alle LKW’s, Womos und PKWs die bevölkerten Straßen verstopfen. Es bildet sich ein längerer Stau, in dem jeder versucht, sich durch lautstarkes Hupen nach vorn zu kämpfen, bis nichts mehr geht. Vom Beifahrersitz ergibt sich das gewohnte Bild geschäftiger Inder, die in ihren Hütten neben der Straße oder auch am Straßenrand auf dem Boden ihre Ware anbieten, einer neben dem anderen. Alles ist „Very Indisch“. 

Auf Leichtfüsslern durch die Natur

Für uns geht es zunächst weiter ostwärts in das Teeanbaugebiet Assam und den Kaziranga Nationalpark, ein 919 qkm großes Tierschutzgebiet, das zum Weltnaturerbe zählt. Während unserer Jeeptour sehen wir neben Elefanten, Wasserbüffeln, Rehe, Hirsche und Wildschweinen auch einige Panzernashörner aus nächster Nähe. Die Ruhe und Schönheit der Landschaft lassen für eine Weile vergessen, dass wir in Indien sind.
Am letzten Vormittag dort begeben wir uns auf Elefantensafari und sind regelrecht begeistert. In aller Herrgottsfrühe geht es los. Noch vor Sonnenaufgang sitzen Manfred und ich gemeinsam mit dem dem Führer auf dem Rücken unseres Elefanten und streifen bei Sonnenaufgang durch eine Graslandschaft, während sich der Morgennebel langsam auflöst. Wir genießen die Stille und die Leichtigkeit, mit der sich unser Elefant eineinhalb Stunden durch die Landschaft bewegt. Wären wir in einem Porzellanladen unterwegs wäre sicherlich nichts kaputt gegangen.

Elefantensafaris sind nicht ganz unumstritten, da nicht immer sichergestellt ist, dass die Elefanten artgerecht gehalten werden. Es kommt wohl nicht selten vor, dass sie misshandelt und ausgebeutet werden. Im Nationalpark gibt es wohl strenge Regeln und Vorschriften, was die Haltung anbelangt. Ob dem so ist, können wir natürlich nicht beurteilen. Wir hatten jedoch einen guten Eindruck.

Umgang mit Konflikten

Im Nationalpark werde ich beim Reinholen unserer Solartasche unfreiwillig Zeuge einer Auseinandersetzung zwischen Reiseleitung und einem Teilnehmer, der als Unruhestifter bezeichnet und dem mit dem Ausschluss der Gruppe gedroht wird.
Da ich selbst den Teilnehmer nicht als Unruhestifter in der Gruppe erlebt habe, bin ich einen ganzen Abend und die Nacht über ziemlich aufgewühlt. Ich kenne die kompletten Hintergründe nicht, bin von dem Vorgehen jedoch ziemlich überfahren. 

Morgens, als ich eigentlich meinen Blogbeitrag über Bhutan schreiben möchte, kann ich mich nicht darauf konzentrieren und schreibe ein paar Zeilen an den verantwortlichen Reiseleiter in Deutschland, der ein paar Tage später kommt. Er soll zumindest wissen, dass eine Teilnehmerin anders denkt und damit sicher auch in guter Gesellschaft ist.
Wir sind über ein Jahr als Gruppe zusammen, das ist schon eine Nummer. Wahrscheinlich können sich die wenigsten vorstellen, ein Jahr mit ihrer Verwandtschaft oder ihrem Freundeskreis zu verreisen. Da sind Konflikte und Auseinandersetzungen vorprogrammiert. Mich beschäftigt noch sehr lange, wie wir hier als Gruppe eigentlich miteinander umgehen, wie Kritik geäußert werden kann und was es braucht, damit die Reise zu einem unvergesslichen Highlight von uns allen wird.
Letztlich kann der oben beschriebene Konflikt mit dem Teilnehmer geklärt werden, wir reisen gemeinsam weiter und bekommen die Einladung, Kritik jederzeit äußern zu dürfen. Ich bin gespannt, wie gut wir das im nächsten halben Jahr gemeinsam hinbekommen.

Idyllisches Teeanbaugebiet

Vom Kaziranga Nationalpark geht es von nun an weiter westlich durch Assam Richtung Darjeeling. Unser Weg führt uns immer wieder auch durch eine hügelige Landschaft, mit Blick auf die Teeplantagen. Ich empfinde es als etwas sehr Besonderes, hier mit dem eigenen Auto unterwegs zu sein.

Zuhause trinken wir immer den First Flush der Teekampagne aus Darjeeling. Hier sind wir positiv überrascht vom Geschmack des Assamtees, den wir vor Ort erstehen. In der Art kannten wir ihn von Zuhause gar nicht.

Nach Darjeeling geht es dann jedoch von Silliguri aus mit Jeeps. Die Straßen in das westbengalische Bergdorf des Vorhimmalays sind eng und in Darjeeling selbst ist kein Stellplatz für 18 Reisemobile. Ich hatte es mir hier idyllischer vorgestellt. Stattdessen ist Darjeeling ein typisch indischer Touristenort, laut, bunt, und sehr geschäftig. Das Bild passt nicht zu meiner Idee von einer harmonischen, entspannten Teepause. Da hat mir meine Phantasie mal wieder einen Streich gespielt – auf dieser Reise habe ich ja schon etliche Vorurteile über Bord werfen dürfen…

Die atemberaubende Aussicht auf einen der höchsten Berge der Welt, den Kangchendzönga, bleibt uns leider verwehrt. Die Berge sind – wie so häufig – verhangen.

Die abschließende Fahrt mit der Dampflock, der Darjeeling Himalayan Railway, lässt mich eine Vorstellung davon bekommen, wie es sich wohl für die Generation meiner (Ur-)Großeltern angefühlt hat, durchs Ruhrgebiet zu fahren. An so einer Bahnstrecke möchte ich nicht leben. Der sich dort abgelagerte Ruß und Schmutz hat mich so fasziniert, dass die Fotos des Tages alle in schwarzweiß zu sehen sind.

Inder / Europäer sind speziell

Manfred hatte ja schon angekündigt, dass ich noch eine Essensepisode aus Siliguri, der Stadt, in der jeglicher Müll offen auf der Müllkippe verbrannt wird, erzählen würde.

Ich entscheide mich in dem Lokal für das vegetarische Curry und freue mich schon sehr darauf, mal wieder etwas Gemüse zu essen. Als Beilage wähle ich Reis. Der Kellner meint bei der Bestellung, dass Reis dazu nicht passe. Okay denke ich, und wähle chinesische Nudeln dazu.
Als meine Nudeln kommen und ich den Kellner erwartungsvoll anschaue, sagt er mir, er habe das vegetarische Curry abbestellt, da er glaube dass das nicht zusammen passe.
Ich bin entsetzt, da ich mich hauptsächlich auf das Gemüse gefreut und die Nudeln nur als alternative Beilage gewählt habe.
Wahrscheinlich hat er mir zwei Portionen nicht zugetraut und kennt den europäischen Gaumen nicht. Wie dem auch sei, als er uns den Bewertungsbogen gibt, schreibe ich, dass ich mit allem zufrieden war, mir aber für die Zukunft wünsche, dass meine bestellte Speise nicht eigenmächtig abbestellt wird. Während wir gehen, haben die Angestellten ihre Köpfe über meinen Bogen zusammengesteckt und debattieren meine Aussage. Europäer sind wirklich komische Zeitgenossen.

Grenzerfahrung Luftverschmutzung

Wenn ich erzähle, dass ich aus dem Ruhrgebiet komme, assoziieren alle gleich Kohlenpott, Dreck, Staublunge, Industrie und bekommen Mitleid. Zum Glück ist dies nur noch ein Gerücht, dass sich jedoch hartnäckig hält. Nebenbei: In Wahrheit ist das Ruhrgebiet ein echtes Juwel der Industriekultur mit vielen grünen Oasen, das entdeckt werden möchte!

In Bihar durfte ich die Erfahrung machen, wie es sich anfühlt, wenn die Luftqualität einen Wert annimmt, der auf der App als gefährlich eingestuft wird. Im ärmsten und sozioökonomisch unterentwickeltsten Bundesstaat Indiens ist die Luft morgens und abends wie zum Schneiden. 

Dunst, Nebel, Rauch und Abgase bilden ein deutlich sichtbares Gemisch, auf das meine Asthmalunge sofort reagiert. Es legt sich bei jedem Atemzug ein Film auf die Schleimhäute, der sogar einen eigenen Geschmack hat. Abhusten funktioniert nur bedingt und da ja keine bessere Luft vorhanden ist, hält sich das Problem.

Beim Stehmeeting am Abend und während der Weiterfahrt Richtung nepalesische Grenze bin ich nicht die einzige, die eine Maske – selbst im Amigo – trägt.

Ich habe großes Mitgefühl mit den Menschen, die hier leben und für die eine derartige Luftverschmutzung Normalität ist. Es trifft hier in Bihar die Ärmsten, die zudem noch mit den Nachwehen der Flutkatastrophe von 2008 und den jährlichen Monsunregenfällen gebeutelt sind. Lungenerkrankungen haben hier in der Region stark zugenommen – wen wundert’s? Ich bin froh, als wir schließlich mit Raxaul die indisch-nepalesische Grenze erreichen und uns für drei Wochen von Indien ins Himalaya verabschieden dürfen.

Eure Saradevi
Varanasi, 18.02.2023

Unserer Reise durch Indien Dezember 2022 bis März 2023 (Indien Teil 2)

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