You are currently viewing Porentief rein

Porentief rein

Von unserem Stellplatz im Westtimor sind es nur ein paar Minuten bis zur Grenze. Als wir ankommen, sind die Formalitäten quasi schon erledigt. Ein Blick in den Amigo genügt den Beamten und kurz darauf sind wir auf einer der wenigen Hauptstraßen, die das kleine und noch junge Land Timor Leste durchziehen.

Timor Leste erlangte erst 2002 seine Unabhängigkeit von Indonesien und hat weniger als 1,5 Millionen Einwohner, die sich auf einer Fläche verteilen, die kleiner ist als Schleswig-Holstein.

Leider werden wir vom Land nicht so viel sehen, schließlich sind wir zum Putzen hier. Für uns ist Timor Leste ein Transitland, wie man so schön sagt.

Allein die Fahrt nach Dili nutzen wir, um hier und da anzuhalten, unterwegs in einem alten Fort etwas zu essen und auch für eine letzte Übernachtung direkt am Strand. In Timor Leste, auch Osttimor genannt, ist es uns wieder erlaubt, ohne Gruppe irgendwo zu übernachten.

Sind wir schon in der Hauptstadt?

Auf unserer Route in die Landeshauptstadt sind die Dörfer klein und nicht viele Menschen unterwegs. Bis vier Kilometer vor der Stadtmitte in Dili ist so gut wie kein Verkehr auf der Straße. Ich habe schon den Eindruck, dass wir falsch sind – schließlich ist Dili die Hauptstadt. Dann fahren wir über eine Brücke und wie von Zauberhand herrscht reges Treiben. Die Hauptachse ist zweispurig ausgebaut.
Trotz allem wirkt Dili nicht wie eine Hauptstadt. Die Straßen abseits der Hauptstraße verästeln sich häufig in kleine unbefestigte Gassen, in denen die Menschen in ärmlichen Verhältnissen leben – abgesehen vom Botschaftsviertel. 

Osttimor macht auch sonst einen ärmlicheren Eindruck auf uns als Indonesien. Ein Tribut der erkämpften Freiheit? Der Lebensstandard ist nicht sehr hoch – das fällt direkt ins Auge. Es ist das zweite Land  – neben Kambodscha – auf dieser Reise, in dem mit Dollar bezahlt wird – es gibt lediglich einheimischen Münzen für die kleineren Dollarbeträge. Eine eigene Währung wäre wohl nicht stabil genug.

In zwei Welten

In keinem Land auf dieser Reise habe ich Unterschiede so deutlich wahrgenommen wie hier. In Dili gibt es diverse Cafés und Restaurants westlichen Standards mit westlichen Preisen. Einheimische verdienen um die 15 $ am Tag und werden sich wohl niemals ein Essen in einem dieser Restaurants leisten können. Es wirkt so, als gebe es hier eine Parallelgesellschaft, Menschen, denen es richtig gut geht oder eben nicht. Hoffen wir mal, das sich das zueinander entwickelt und nicht zu viel Sprengkraft beinhaltet.

Nicht auf Sendung

In Indonesien haben wir auf Anraten ein Roamingpaket für unsere SIM-Karte erworben – 100 GB für einen Monat. Frohen Mutes alles mögliche für Australien regeln und Fotos auf den Blog laden zu können, landen wir schnell auf dem Boden der Tatsachen. Der Empfang ist so schlecht, dass manchmal selbst Fotos bei WhatsApp nicht geladen werden. Außerdem funktioniert erstmals auf der ganzen Reise die deutsche eSIM-Karte nicht, die wir eigens für die doppelte Authentifizierung dabei haben. In kurzer Zeit funktionieren drei Apps nicht mehr, weil ich die erforderlichen Codes nicht empfange – so auch die Banking App. Wie gut, dass wir noch genügend Dollarscheine dabei haben…

Wie lange kann man ein Auto Putzen

Zehn Tage sind zum Putzen des Amigos nebst Inhalt angesetzt – davon dreimal drei Stunden in einer Waschstraße. 

Nach einer Stunde ist der Amigo ausgeräumt. Das erste Durchwischen dauert zu zweit keine zwei Stunden. Und sind wir jetzt fertig?

Niemand weiß genau, wie die Quarantänekontrolle in Australien aussieht und worauf genau Wert gelegt wird. Und jetzt, wo schon einmal zehn Tage angesetzt sind, ist Zeit, sich jede Ritze in diesem Auto genauer vorzunehmen. 

Also beginnen wir jeden Tag eine weitere Schicht abzutragen, bis weder Dreck, noch Schmutz, noch irgendetwas auf den verschiedensten Untergründen zu sehen ist.

Wir lassen uns (nicht) verrückt machen

Wir inspirieren uns in der Gruppe gegenseitig, was alles abgebaut und abgeschraubt werden kann, wo Blenden, Matten und Verkleidungen wegkönnen, um den dahinterliegenden Schmutz zu entfernen. Es sind etliche Sprinter vertreten – ich kenne mich zwischenzeitlich sogar mit den Unterschieden der verschiedenen Baureihen aus.

Es werden Abflüsse aufgeschraubt, Gummidichtungen abgenommen, Frisch- und Abwassertank geöffnet und gereinigt, Vorhänge und Bettzeug gewaschen, Oberflächen mit diversen Mitteln behandelt und versiegelt. Selbst den Kühlschrank bauen wir erstmals aus, um ihn von allen Seiten zu reinigen.

Ich lerne den Amigo, mit einem Schraubenzieher und Imbusschlüsseln in unterschiedlichen Größen, einer Zahnbürste und diversen Lappen bewaffnet, völlig neu kennen. 

Den Motorraum befreie ich über Stunden mit einem Kompressor vom gröbsten Dreck und bereite ihn so für die nächste Aktion in der Waschstraße  vor.

Meine Hände und Unterarme bekommen von Tag zu Tag mehr Schrammen. Durch das Entleeren und Putzen der Wassertanks gesellen sich diverse blaue Flecken dazu.

Anfangs gehe ich mit Freude ans Werk. Wir beginnen nach dem Frühstück zwischen Neun und Zehn. Ohne große Pausen putzen wir bis zum Abendessen. Jeden Abend ernten wir die Früchte unserer Arbeit und sind auf natürliche Art und Weise müde und nach etlichen Tagen auch geschafft.

In der Grube

Im Verschiffungspaket sind drei Aufenthalte in der Waschstraße inkludiert. Beim ersten Termin wird der grobe Dreck entfernt. Der Unterschied ist verblüffend. Doch dann geht es an die eigentliche Arbeit. Radkappen, Felgen, Motorraum und Unterboden müssen so gereinigt sein, dass der Finger schmutzfrei bleibt, egal wo man blind hingreift. 

Die Mitarbeiter waschen und schrubben was das Zeug hält. Selbst Klobürsten kommen zum Einsatz. Ich krabble diverse Male selbst mit in die Grube, inspiziere unseren Amigo und lege mit Hand an.

Und täglich grüßt das Murmeltier

So verbringen wir Tag um Tag bei über dreißig Grad und Sonnenschein auf der Wiese hinter dem Hotel und geben unser Bestes. Jeder arbeitet vor sich hin, wir nehmen einander nur am Rande wahr. Ab Tag sieben oder acht kann ich mich immer schlechter motivieren loszulegen. Wenn ich einmal in Gang gekommen bin, geht es. Den Dreck und Staub, den wir täglich wieder mit in den Amigo schleppen bzw. der uns bei offener Tür ins Fahrzeug weht, entferne ich jeden Abend aufs Neue… irgendwann mag ich nicht mehr.

Wahrscheinlich war selten ein Sprinter unseres Jahrgangs so sauber.

Scherben bringen Glück…

Die letzten zwei Tage nutzen wir, um jedes Teil, was wir dabei haben, im Hotelzimmer ebenfalls zu säubern. Ich bin entsetzt, wie viele Dinge das sind. Alleine das Säubern der diversen Schuhe, von Campingstühlen und Tischen ist sehr aufwendig und zeitintensiv.

Und dann sind da all die Sachen aus den kleinen Fächern und Schublanden, in denen sich über das Jahr Vieles einfach nur so angesammelt hat. All das will neu sortiert werden.

In der Kaffeemühle, die Manfred hat einfliegen lassen und mir zum Geburtstag geschenkt hat, entdecke ich Reste von Kaffeepulver. Das ist natürlich verboten. Also schraube ich sie auseinander. Offensichtlich bin ich nicht achtsam genug. Ein Teil des Porzellanmahlwerks fällt auf den Boden und zerbricht in „tausend“ Scherben.

Erst bin ich geschockt, dann laufen mir die Tränen hinunter und schließlich fange ich an, bitterlich zu weinen. Ich bin wütend auf mich und habe die Nase voll. Am liebsten würde ich „hinschmeißen“ und sofort nach Hause reisen.

Ich Packe meinen Amigo und nehme mit…

Für die Kontrolle in Australien muss zudem alles katalogisiert werden. Wir versehen jeden Schrank und jede Schublade mit Zahlen und notieren, was sich dahinter verbirgt. Einige Dinge, wie z.B. unsere Lammfälle deklarieren wir, weil wir nicht wissen, ob sie mit dürfen – das muss vor Ort entschieden werden.

Jedes Holzstück wird offensichtlich beäugt, so dass wir uns kurzerhand von den wenigen Holzgegenständen trennen. Leder wird wohl auch inspiziert. Deshalb nehme ich Gürtel und Geldbeutel mit ins Handgepäck. Wir wollen es nicht drauf ankommen lassen.

Und dann ist es soweit

Ein letztes Drüberwischen und Durchsaugen und wir sind fertig. Während wir auf die Fahrt Richtung Hafen warten, trifft mich die Traurigkeit für ein paar Minuten wie ein Schlag. Mir wird bewusst, das dies wohl das Ende der gemeinsamen Reise ist und wir uns ein weiteres Mal von unserem Amigo trennen müssen. 

Doch dann geht es los, es bleibt keine Zeit für Trauer und Wehmut. Ich bin aufgeregt und freudig zugleich. Nach und nach trudeln all unsere Fahrzeuge am Hafen ein und stehen wohl letztmalig in unserem Beisein zusammen. Auch das ist ein komisches Gefühl.

Über den Dächern von Dili

In der Skybar – mit Blick über Dili – feiern wir zum zweiten Mal Abschied von der Reise. Es ist ein schöner Ausklang mit Buffet, Livemusik und Tanz. Und doch ist der Abschied irgendwie auch ganz unspektakulär. Eigentlich hat er sich schon in den letzten Wochen in Etappen ganz langsam und doch unaufhaltsam vollzogen. Vier Paare sind schon vor Wochen ausgestiegen. Sie fehlen mir. Seither hat sich mein Gefühl, mit der Gruppe zu reisen, immer mehr verflüchtigt. In den letzten zwei Monaten waren wir zudem viel mit der Frage, wie es ab Dili weitergeht, beschäftigt. Und als dies klar war, mit den Vorbereitungen der letzten Etappe Australien.

Selbst um unsere Rückkehr nach Deutschland haben wir uns gekümmert, um nicht irgendwann erfahren zu müssen, dass es keine Flüge mehr gibt.

Mehr als ein Jahr waren wir nun gemeinsam unterwegs – es war wohl die weltweit längste geführte Wohnmobilreise, die jemals stattgefunden hat. Wir haben als Gruppe über das Jahr hinweg, mit allen Höhen und Tiefen, super funktioniert und ich bin stolz, ein Teil dieser Gruppe gewesen zu sein.
Außerdem bin ich sehr dankbar, dass wir alle das Ziel gesund und munter erreicht haben. Wer unsere Reise bis hierher verfolgt hat, der weiß, dass dies nicht selbstverständlich ist. Eigentlich haben wir auf jeden neuen Grenzübertritt angestoßen, nicht wissend, ob wir das gemeinsame Ziel erreichen würden.

Ab morgen werden alle ihre eigenen Wege gehen. Es ist an der Zeit, wieder allein unterwegs zu sein. Auch darauf freue ich mich sehr. Und doch bin ich mir sicher, die meisten in Darwin noch einmal wiederzusehen. Man sieht sich ja immer zweimal…

Eure Saradevi
Darwin, 16.09.2023

Unsere Reise durch Timor Leste im August 2023

Wir freuen uns auf den Austausch mit dir...

Dieser Beitrag hat 2 Kommentare

  1. Dorothea Keidel

    Vielen Dank das ich euch die ganze Reise begleiten durfte. Es war sehr spannend und informativ.
    Vielleicht sehen wir uns auf Texel mal wieder.
    Noch eine gute Zeit weiterhin.
    Lg Doro

    1. saradevi

      Guten Morgen Doro,
      vielen Dank für deine Rückmeldung. Genau aus dem Grund machen wir den Blog.
      Ja, vielleicht sehen wir uns Anfang des Jahres auf TX?
      Bis dahin alles Gute
      sama