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In eine andere Welt

Wieder im Himalaya

Zum zweiten Mal auf dieser Reise werden wir also durch den Himalaya reisen. Im Norden Pakistans waren wir bereits im westlichen Teil unterwegs. Nun nähern wir uns dem Gebirge von indischer Seite aus und erreichen den Himalayastaat über die kleine Grenzstadt Jaigaon auf indischer und Phuentsholing auf bhutanischer Seite. 

Die Abwicklung verläuft insgesamt schneller als an den anderen Grenzen bislang. Die Ausreisestempel auf indischer Seite bekommen wir in einer Doppelgarage, in der am vorderen Ende einfach ein Tisch steht, hinter dem der Beamte sitzt. Computer sucht man weit und breit vergebens. Es herrscht Zettelwirtschaft.

Dagegen wirkt die bhutanische Grenzstation richtig modern. Mit dem Durchschreiten eben diesen Gebäudes stehen wir auf einem Vorplatz und gelangen in eine andere Welt – so etwas kenne ich bislang nur aus Märchen. Es ist ein wenig wie in einem Traum. Alles ist sauber, es sind viel weniger Menschen unterwegs als auf der anderen Seite des Gebäudes. Das Leben erscheint ruhiger, und dies nicht nur, was den Geräuschpegel anbelangt. Die Menschen sind anders gekleidet und auch vom Aussehen her ist ein Unterschied auszumachen. In den Grenzregionen Europas habe ich letzteres noch nie so deutlich wahrgenommen.

Natur pur

Bereits am ersten Tag geht es über eine Passstraße nach Paro, der zweitgrößten Stadt Bhutans, im Nordwesten gelegen. Zum zweiten Mal bereisen wir, wie auch schon in Armenien, einen Bergstaat. Direkt von Phuentsholing aus schrauben wir uns Serpentine für Serpentine hoch und werden mit tollen Aussichten belohnt. Kilometerweit nur Wald und Berge, die Besiedlungsdichte läuft gegen Null. 

Nach drei Monaten in Indien erlebe ich das als große Wohltat. Sofort stellt sich das Gefühl ein, in Bhutan bei mir selbst ankommen zu können. 

Es ist ruhig auf den Straßen, niemand hupt, die Fahrweise mutet trotz Linksverkehr eher europäisch an. Anders als in Deutschland liegt die HÖCHSTgeschwindigkeit in Bhutan nur bei 50 km/h. In weiten Teilen des Landes ist ein schnelleres Fahren auch gar nicht möglich. Entweder sind die engen Bergstraßen zu kurvenreich oder die Straßenverhältnisse zu schlecht.

Was ist eigentlich westlich?

Die Menschen, dir mir in den darauf folgenden Tagen begegnen, sind im Großen und Ganzen zurückhaltend, freundlich, offen, wertschätzend und emphatisch.
Als ein Guide mich nach meinen ersten Eindrücken fragt, sage ich spontan, dass ich es hier in Bhutan westlich finde, sage aber sogleich, dass das der falsche Begriff sei. Er ist amüsiert.

Ich denke länger darüber nach und finde schließlich den Begriff „vertrauter“. Natürlich gibt es große Unterschiede im Wohlstand, in der Art zu leben, in der Religion und vielem mehr. Und doch ist da etwas sehr Vertrautes. Auf eine sehr spezielle Art fühle ich mich hier weniger fremd als in den vergangenen Monaten auf unserer Reise. Hier in Bhutan fordert mich der ganz normale Alltag nicht so sehr. 

Vom Bewahren

Der besondere Baustil in Bhutan fällt gleich ins Auge. Die Häuser und Dächer haben eine einzigartige Form und sind wunderschön und sehr individuell verziert. Die Ortschaften strahlen eine Ruhe aus und wirken einladend. Es gibt ein Gesetz, in dem der Baustil vorgeschrieben wird, um die Baukunst zu bewahren.

Ähnlich ist es mit dem kulturellen Erbe. Tempelanlagen, Kulturstätten im Äußeren sowie die geistigen, religiösen, ideellen Werte werden sehr gepflegt und von Generation zu Generation weitergegeben. Der Buddhismus ist in Bhutan Staatsreligion, politische und religiöse Einflüsse sind gleichbedeutend, die staatlichen und religiösen Verwaltungsapparate sind oftmals im selben Komplex untergebracht.

Paro und Thimphu

Mit Paro und Thimphu besuchen wir gleich zu Beginn unserer Tour die beiden größten Städte des Landes. Thimphu ist mit ihren 114.551 Einwohnern (2017) wohl die kleinste und beschaulichste Hauptstadt, die ich jemals bereist habe. 

Beide Städte wirken eher kleinstädtisch und strahlen für mich in dieser wunderbaren Berglandschaft etwas sehr Ruhiges aus. Die Menschen wirken verbundener als bei uns. 

Vielleicht ist das aber auch einfach das Resultat von gelebter Tradition und der Tatsache, dass in ganz Bhutan nicht mehr als 0,8 Millionen Menschen leben.

Buddhismus ist gelebte Staatsreligion

In Paro, Thimphu, Punakha und Jakar schauen wir uns die sehr gut erhaltenen buddhistischen Klöster und Tempel an. Fotografieren ist im Inneren streng verboten. Die Regel ist einfach: Ab da, wo die Schuhe ausgezogen werden müssen, darf nicht mehr fotografiert werden. Von daher können wir euch die wahren Schätze, die uns sehr imponiert und begeistert haben leider nicht zeigen. Aber auch schon die Aussenaufnahmen sprechen für sich, oder?

Unsere Guides sind sehr gut ausgebildet und verstehen es, uns für ihr Land und ihre Religion zu begeistern. Stolz, leidenschaftlich und unermüdlich beantworten sie uns all unsere Fragen.
Ein Guide erzählt mir, dass er selbst einige Zeit in Paro im Kloster gelebt hat. Jede Familie versuche, ein Kind im Kloster unterzubringen. Das erhöhe Ansehen und Einfluss.

Das Tigernest (Taktshang), ein Felsenkloster in 3120 Meter Höhe, das wir erwandern, ist besonders eindrucksvoll. Kloster und Tempel wurden 1692 eingeweiht und wirken trotz aller Buddhafiguren wenig überladen, friedlich und harmonisch. 

Auf mich strahlen die Klöster eine enorme Ruhe aus und laden zum Verweilen ein – vielleicht auch, weil Mönche unterschiedlichen Alters bis heute hier leben.

In einem Kloster nehmen wir an einer Mantrameditation von Mönchen teil. Die Mantren werden laut rezitiert. Dazu werden immer wieder rhythmisch Trommeln geschlagen. Es hat etwas sehr Friedvolles.

Leben im Dorf

In Punakha besuchen wir auf einer Wanderung ein kleines Dorf . Im Elternhaus eines unserer Guids, in dem nun seine Schwester mit Familie lebt, werden wir mit typisch bhutanischem Essen verköstigt. Später dürfen uns das Haus anschauen. Es ist schlicht, zweckmäßig und liebevoll eingerichtet. Ein zentraler Raum im Haus dient religiösen Zwecken und auch als Rückzugsort. An verschiedenen Feiertagen und zu bestimmten Anlässen (neues Jahr, Geburt…) kommt ein Mönch und begeht gemeinsam mit der Familie religiöse Zeremonien.

Haus und Garten sind, wie auch bei allen Nachbarn, gepflegt und werden offensichtlich wertgeschätzt. Die Menschen in Bhutan sind im Gegensatz zu uns spatanisch eingerichtet und doch mangelt es im Grunde nicht an lebensnotwendigen Dingen. Wasser, Strom und ein Ofen sind vorhanden. Oftmals leben mehrere Generationen unter einem Dach, sorgen für einander und bilden auch eine finanzielle Gemeinschaft. Etliche junge Menschen gehen zum Studieren oder Arbeiten auch ins Ausland und versorgen ihre Familie von dort.

In diesem Haus hatten alle Bewohner ein Bett in verschiedenen Zimmern. In den Dörfern haben die Menschen zudem alle einen Nutzgarten und oftmals auch Vieh. Die Verbundenheit zur Natur ist viel größer als bei uns, wo in Ballungszentren oftmals nur noch wenig Möglichkeit besteht, regelmäßige Naturerfahrungen zu machen.
Es kommt mir der Satz in den Sinn, den ich kürzlich hörte: Nur der, der die Natur liebt und mit ihr verbunden ist, kann sie auch wertschätzen. In Bhutan leben viele Menschen im Einklang mit der Natur und verstehen sich als Teil von ihr.

Ein König zum Anfassen

Wir haben den König nicht getroffen, aber in jedem Haus und Tempel Bilder von ihm und seiner Familie gesehen. Im Westen des Landes sind einige Male Fahrzeuge der Königsfamilie an uns vorbeigefahren. Sie sind ganz einfach am Nummernschild zu erkennen.

Die königliche Familie hat in Bhutan einen großen Stellenwert. Die Meinung und Haltung des Königs ist für die Bevölkerung von großer Bedeutung – auch wenn die Monarchie vor etlichen Jahren, auch auf sein Bestreben hin, abgeschafft wurde. Einige unserer Guides haben ihn schon mehrfach persönlich gesprochen und berichten, dass ihm die Meinung des Volkes sehr wichtig sei. Bhutans amtierender König Jigme Khesar Namgyel Wangchuck wurde bereits mit 26 Jahren König seines Landes und hat es seither verstanden, Bhutan in die Moderne zu führen, ohne die Traditionen zu vernachlässigen.

Ein Guide sagte einmal, SEIN König habe dies und das gesagt. Allein diese Ausdrucksweise zeugt von der Verbundenheit der Bevölkerung mit der Königsfamilie.

Eure Saradevi
18.02.2023

Unserer Reise durch Bhutan im Januar 2023

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