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2. Etappe: Maine bis Georgia, 24. September - 11. November 2019

Vermisst du eigentlich manchmal Alltag?

Diese Frage stellte mir Rosetta in der vorletzten Woche! Spontan habe ich gedacht: Nein! Aber ich habe ihr geschrieben, dass ich die Frage noch eine Weile bewegen möchte, bevor ich antworte. Heute dachte ich, ein guter Aufhänger für meinen Blogbeitrag…

Um ehrlich zu sein, je mehr ich darüber nachdachte, habe ich mich gefragt, was Alltag überhaupt ist. Irgendwie habe ich auch den Eindruck, dass sich mein Alltag in den letzten Jahren sowieso irgendwie von vielen anderen unterschieden hat. 

Was ist überhaupt Alltag?

Wikipedia befragt, bekomme ich die folgende Antwort: “Unter Alltag versteht man gewohnheitsmäßige Abläufe bei zivilisierten Menschen im Tages- und Wochenzyklus.”
Weiter heißt es: “Der Alltag ist durch sich wiederholende Muster von Arbeit und Arbeitswegen, Konsum (Einkauf, Essen und Trinken), Freizeit, Körperpflege, sozialer sowie kultureller Betätigung, Arztbesuche, Schlaf u. v. m. geprägt. Der Alltag wird unter anderem als Gegensatz zum Feiertag oder Festtag bzw. zum Urlaub gesehen.”

Womit wir wieder bei der Frage sind, ob wir gerade Urlaub machen… Ich habe Daniel gefragt, der gerade mit seiner Familie nach neun Monaten im Wohnmobil mal wieder für einige Zeit zu Hause ist. Er sagt, sie nennen es Reisen. Das finde ich eine schöne Umschreibung, die auch für mich gelten kann. Im Urlaub verzichte ich für einige Zeit auf das Erledigen von Dingen, die ich nach dem Urlaub machen kann. Wir erledigen aktuell jedoch alles, was eben so erledigt werden muss, als wären wir nicht weg.

Alltag zuhause

In den letzten zwei Jahrzehnten war mein Alltag wenig ritualisiert. Feste Abläufe – mal abgesehen von dem morgendlichen Kaffee-Ritual und der Meditation, die irgendwann hinzu kam – gab es eigentlich nicht.

Essenszeiten, Feierabend und Freizeitaktivitäten wurden bestimmt durch meine Arbeitszeiten. Arbeit hat den Alltag eigentlich komplett bestimmt – das hört sich vielleicht hart an, war es aber nicht und hat mir die Freiheit verschafft, ohne Druck arbeiten zu können. Wenn die Arbeit beendet war, habe ich mich anderen Dingen zugewendet. Ich habe die Arbeit nicht als etwas Getrenntes oder Abgespaltenes erlebt, sondern als Leben eben. Oft haben wir im Sommer um 20.30 Uhr nach getaner Arbeit noch eine Radtour gemacht. Und es kam häufig vor, dass wir um 23.00 Uhr die Betten bezogen haben, da dann die Wäsche durch war.

Vor drei Jahren hat sich der Alltag mit Reduzierung der Arbeitszeit und Kauf des Chalets dann verändert. Gerade auf Texel hatten wir oft gleichbleibende Abläufe, haben selbst gekocht und uns unsere eigene Struktur gegeben, jenseits von Arbeit und auch noch einmal mehr abgestimmt auf unsere Bedürfnisse.

Alltag unterwegs im Amigo

Hier auf unserer Reise ist der Alltag nun wieder anders, aber ja durchaus auch vorhanden. Wir stehen auf, trinken einen Kaffee bzw. Tee, kommen langsam im Tag an, machen Pläne oder konkretisieren diese, in dem wir Routen ausmachen, Ziele festlegen, nächste Übernachtungsmöglichkeiten sondieren, etc. Dann frühstücken wir, spülen (ich spüle, Manfred trocknet ab) und machen uns fertig. 

Da während der Fahrt ja nichts rumliegen darf, bin ich dafür zuständig, alles wieder an Ort und Stelle zu verstauen, die Stühle in Fahrposition zu bringen, das Bett runter zu lassen, Strom, Heizung und Pumpe zu versorgen – eben alles zu tun, was im Amigo so anfällt. Manfred ist für den Außenbereich zuständig, entleert das Porta Potti, füllt Wasser nach, kümmert sich um Stromzufuhr, sattelt die Fahrräder, etc.

Wir kaufen gemeinsam ein, beim Kochen wechseln wir uns ab.
Ich kümmere mich um die Finanzen und den Verwaltungskram im Allgemeinen, d.h. alles Relevante – auch aus der Heimat.

Das alles hat sich in den letzten Wochen gut eingespielt und nennt sich wohl Alltag. Somit vermisse ich Alltag nicht …

Was ich vermisse, ist manchmal eine warme Dusche in schöner Umgebung gleich nebenan, etwas mehr Platz im Zusammenleben, Waschen zu können, wenn mir danach ist – Alltäglichkeiten, an die ich so gewöhnt bin und die ich gar nicht mehr anders kenne bzw. jetzt wieder einmal neu schätzen lerne. Auf unseren langen Radtouren bzw. Wanderungen habe ich diese Dinge ja auch schon schätzen gelernt.

Washington, 01.11.2019

Saradevi

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