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Indien für Anfänger (Teil 2)

Tief verwurzelt

Nachdem mir eine Gastgeberin direkt zu Beginn unseres Aufenthaltes berichtete, dass ihr Anwalt nicht mit ihr direkt spreche, weil sie eine Frau sei, sondern nur über ihre männliche Begleitung, sie aber sehr wohl die Rechnung bezahlen dürfe, habe ich dem Geschlechterthema mehr Aufmerksamkeit geschenkt.
Land auf, Land ab, habe ich ganz unterschiedlich Eindrücke gesammelt. In den Städten wirken viele Frauen, von ihrem Auftreten her, dem „westlichen Ideal“ sehr ähnlich. Auf dem Land hingegen habe ich den Eindruck gewonnen, dass Frauen zwar im Haushalt und in der Erziehung das Sagen haben, sich aber letztlich den Vorgaben des Mannes und den Traditionen unterordnen müssen. Unser Guide Sumi erklärte uns, dass in den Familien die Frauen den Daumen auf dem Geld haben, also die eigentlichen Finanzminister seien. Die Männer hätten die Aufgabe, es zu verdienen. Dennoch sehe ich viele Frauen, die zum Teil sehr schwere Arbeit auf den Feldern und auch in Bereichen wie Straßenbau etc. leisten.

Hochzeiten werden immer noch verabredet, Liebeshochzeiten sind in ländlichen Bereichen eher die Ausnahme. Die Frau wechselt nach der Hochzeit in die Familie des Mannes. Mitgiften werden immer noch erwartet, gleichwohl Gesetze schon seit vielen Jahrzehnten abgeschafft wurden. Die Tradition hält sich hartnäckig. Auch bleiben die Menschen meist zeitlebens in ihrer Kaste – auch diese gibt es offiziell schon lange nicht mehr.
Tradierte Vorstellungen und Lebensweisen führen dazu, dass gesellschaftliche Prozesse nur wenig in Bewegung kommen, sprich Veränderungsprozesse eher stagnieren.

Von daher ist es immer noch so, dass sich Eltern eher über die Geburt eines Jungen, als eines Mädchens freuen. Abtreibungen und Tötungen weiblicher Säuglinge kommen noch vor, aber die Anzahl ist wohl rückläufig – zum Glück. Im Vorfeld dieser Reise hatten wir einen interessanten Beitrag zu diesem Thema von Markus Lanz in der Mediathek geschaut.

Ich habe mich gemeinsam mit Kopftuch tragenden Frauen in einem Raum aufgehalten. Unter uns Frauen haben sie ihre Kopftücher abgenommen. Sobald ein Mann in die Nähe kam, wurden sie wieder hochgezogen. Frauen sind in Indien keine gleichwertigen Mitglieder der Gesellschaft. Auf dem Papier vielleicht, nicht aber im alltäglichen Leben. 

In meinem Lebensumfeld ist die Gleichberechtigung Normalität.  In meiner aktuellen Lebenswelt, nun schon im dritten Monat in Folge, nicht. Das arbeitet doch sehr in mir.

Alles Müll oder was?

Die Müllbilder aus Indien haben wahrscheinlich alle vor Augen. Auf den Anblick war ich also irgendwie vorbereitet.
Den Müll auf den Straßen und in der schönsten Natur allerdings jeden Tag zu sehen, zu riechen und wahrzunehmen, dass hat mich bis ins Mark getroffen. An manchen Orten mochte ich anfangs gar nicht hergehen. Es hat mir körperliches Unbehagen bereitet.

Am liebsten hätte ich all den Menschen, die in einer Seelenruhe einfach direkt neben herumliegendem Müll sitzen, ohne sich darum zu kümmern, zugerufen, ob sie noch bei Sinnen sind und doch bitte mit dem Einsammeln zu beginnen.
Zu sehen, wie Menschen ihre Flaschen einfach auf die Erde oder gar dem Nachbarn aufs Grundstück werfen, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken, macht mich immer noch tief traurig.

Und dann kam der Tag, an dem wir unseren Müll nicht auf dem Stellplatz entsorgen konnten. Wir sollen dies unterwegs tun, so der Tipp. Aber unterwegs gab es nirgends Mülleimer oder gar Container. Wir fuhren durch kleine Ortschaften, in denen hier und da – mangels Mülltonnen oder Müllabfuhr – Müllansammlungen am Wegesrand waren. Oftmals wird der Müll auf dem Land einfach verbrannt. Tiere, auf der Suche nach Essensresten, wühlen darin herum. Die Fotos davon habt ihr sicher schon auf unserer Seite gesehen.
Da die Menschen hier das Müllproblem nicht Dank Müllabfuhr „aus den Augen verlieren können“, habe ich es nicht übers Herz gebracht, ihnen unseren Müll auch noch aufzubürden. So haben wir ihn einfach weiter mit uns herumgefahren und waren nicht die einzigen aus unserer Gruppe, denen es so ergangen ist. Einen Tag später gab es dann einen Abfalleimer auf einem Hotelstellplatz. Gott sei Dank! Wir sind eben alle Teil des Problems und müssen uns auch an die eigene Nase fassen.

Aber ich muss fairer Weise auch erwähnen, dass es in einigen Dörfern tiptop aussieht und ich den Eindruck habe, dass es gen Süden insgesamt sauberer wird. Das fällt dann direkt auf. 

Auch habe ich verstärkt Hinweise auf Plakaten und sogar Straßenschildern wahrgenommen, wie der Einzelne Dinge verändern kann. Das Bewusstsein verändert sich langsam und das ist für uns alle auf diesem Planeten gut so.

Von Göttern und anderen Wesen

In unseren Wochen in Indien haben wir uns viele Tempel und alte Kulturstätten angesehen. Fasziniert haben mich die in den Fels geschlagenen, zum Teil tausend Jahre alten Höhlen. Mit welcher bildhauerischen Kunst all die Gottheiten und Figuren aus dem Fels gehauen wurden, ist schon sehr beeindruckend. Allein die Bedingungen, unter denen all diese Wunderwerke entstanden sind…

Innerhalb meiner Yogalehrerausbildung hatte ich etliche Berührungspunkte mit indischen Gottheiten, indischen Göttergeschichten und der indischen Kultur gehabt. Aber aus Europa heraus wirkt das alles ein wenig abstrakt.

Hier sind all die Gottheiten und ihre Geschichten fester Bestandteil des Alltags. Manchmal auch auf sehr bizarre Weise, wenn ich an den Tempel denke, in dem eine Royal Enfield, also ein Motorrad, sowie sein verstorbener Fahrer verehrt werden.

So interessant ich die vielen Geschichten auch finde. Ich merke mehr und mehr, dass ich mit Religionen und ihren Ritualen immer weniger anfangen kann. Die dahinter liegenden Werte und sich daraus ergebenen Lebensweisen interessieren mich viel mehr. Ahimsa, die Gewaltlosigkeit, ist zum Beispiel so ein Wert, der mir hier in Indien immer und immer wieder begegnet. 

In diesem Zusammenhang möchte ich auf drei Filme hinweisen, die ich äußerst sehenswert finde und die wir auf dieser Reise als Gruppe gemeinsam geschaut haben. Vielleicht habt ihr Lust und Zeit und schaut sie euch in dieser dunklen Jahreszeit an: „The Best Exotic Marigold Hotel“ (Komödie), „Slumdog Millionaire“ (Geschichte eines Jugendlichen aus dem Slum Mumbais) und „Gandhi“. Sie spielen allesamt an Orten, an denen wir gewesen sind und sind wirklich sehr sehenswert.

Krank sein ist überall auf der Welt unangenehm

Reisen an sich ist bei weiterhin täglich über 30 Grad und der Strecke, die wir insgesamt zurücklegen, im eigentlichen Sinn kein Urlaub. Wenn die erste Coronainfektion und eine Woche später noch Magen- und Darm dazu kommen, wird es anstrengend und kräftezehrend. Zwar war ich mit beiden Erkrankungen in guter Gesellschaft, aber es gibt Schöneres, als sich in einem, bei weit über 30 Grad in der Sonne stehenden Amigo, auszukurieren. Aber auch das haben wir nach einer guten Woche, ohne erkennbare Spätfolgen, überstanden.
In einer solchen Situation ist es von unschätzbaren Wert, in der Gruppe zu reisen und auf die Unterstützung der anderen bauen zu können. Ich habe mich gut aufgehoben gefühlt und bin sehr dankbar für die Unterstützung, die wir erhalten haben.
Leider habe ich so mit die zwei schönsten Städte im Norden  Indiens verpasst. Für mich haben sie jeweils sechs mal sechs Meter auf einem Hotelparkplatz bedeutet. Aber es muss nicht immer Spaß machen, Spaß zu haben…

Fernsehen von morgens bis abends

Reisen durch Indien ist für mich wie „in die Ferne sehen“ von morgens bis abends. Indien ist so anders, dass ich den ganzen Tag interessiert zuschaue, was um mich herum passiert. Am liebsten möchte ich jeden Moment und jedes Motiv festhalten. 

Und diese Neugierde und dieses anders sein ist etwas Gegenseitiges. Sobald wir auftauchen, stehen wir im Mittelpunkt, ob wir wollen oder nicht. Meist werden wir gefragt, wo wir herkommen, wo wir hingehen, was wir vom Land halten…
Leider sind nur wenige Gespräche weitergehender. Die Verständigung ist oftmals das Problem. Häufig habe ich viel mehr Fragen an die Menschen, die ich treffe. Einige wollen mehr erzählen, aber es mangelt an den Sprachkenntnissen. So auch bei dem Mann auf dem Titelbild. Er sprach uns in einem Dorf unterwegs an.
Gerne würde ich die Lebensgeschichte unserer Gesprächspartner hören, wissen, was sie über Indien, ihr Dorf, ihre Lebensverhältnisse denken. Was sie für Wünsche, Träume oder Ideen von dieser Welt haben? Was sie als ihre großen Herausforderungen sehen, was sie sich für sich und ihre Familie wünschen? Welche Visionen sie für sich, ihr Dorf, ihr Land haben?

In solchen Momenten wünsche ich mir Journalistin bzw. Korrespondentin zu sein, ausgestattet mit einem Team. Da kommt ein alter Berufswunsch wieder zum Vorschein, von dem mir aufgrund meiner mangelhaften Rechtschreibung, leider abgeraten wurde.
Meine Neugierde auf die Menschen ist groß und ich bekomme sie häufig nicht gestillt. Während der Fahrt hänge ich oft noch lange den vielen Fragen nach, die ich dem einen oder der anderen gestellt hätte. 

Gilt hier eigentlich rechts vor links?

Endlich dürfen wir den Verkehr genießen, auf den wir schon so lange vorbereitet worden sind. Auf den Straßen ist es wuselig wie in pakistanischen Großstädten und irre laut. Bei heruntergelassenem Fenster ist weder die Verständigung zwischen Manfred und mir noch zwischen Manfred und der Mitarbeiterin von Google Maps möglich. Also fahren wir ab jetzt in Städten bei geschlossenen Fenstern und schalten die Klimaanlage an.

Tagelang versuchen wir die Regeln im Straßenverkehr zu ergründen. Selbst im Internet finden wir keine gleichlautenden Antworten. Wir schulen uns deshalb jeden Tag ein bißchen mehr durch Beobachtung und kommen klar.

So haben wir gelernt: 

Desto größer und schneller, desto mehr Vorfahrt. Blinker und Spiegel sind Optionen, die in der Regel nicht genutzt werden. Rote Ampel und Geschwindigkeitshinweise haben lediglich Empfehlungscharakter. Der Verkehr fließt nach vorne und wird auch nur nach vorne gedacht. Was hinter einem passiert, interessiert nicht. 

Klare Regel an Kreuzungen und für Kreisverkehre sind nicht auszumachen. Überholen von links oder rechts ist völlig okay. Wenn es sonst zu aufwendig wird, fährt man einfach im Gegenverkehr und kann sicher sein, dass nichts passiert und sich niemand aufregt. Inder überholen in den unübersichtlichsten Stellen und lassen es drauf ankommen. Wenn es nicht klappt, lassen sie sich eben wieder zurückfallen und zwängen sich in die kleinsten sich ergebenden Lücken.

Gehupt wird nicht, um auf eine Gefahr hinzuweisen, sondern um dem Anderen zu verstehen zu geben, dass man jetzt kommt und er oder sie doch bitte die Spur nicht verändert. Also wird eigentlich immer gehupt. Um das Hupen noch zu unterstützen, kommt auf Landstraßen die Lichthupe hinzu.

Sowohl zu Fuß wie auch motorisiert reicht es, den Mut zusammen zu nehmen und einfach loszulaufen bzw. zu fahren. Wie von Zauberhand ergibt sich dann alles andere. Inder fahren tendenziell langsamer und sind darauf trainiert, dass zu jeder Zeit ein Hindernis auftaucht, auf das reagiert werden muss.
Es ist keine Seltenheit von rechts und links gleichzeitig überholt zu werden, gerne auch von Mopeds, auf denen bis zu vier Personen und auch schon mal stillende Mütter sitzen.

Zusammenfassend lässt sich sagen: Wenn jeder an sich denkt, ist letztlich an alle gedacht!

Natürliche Verkehrsberuhigung

Wie aus dem Nichts tauchen in Ortschaften wie auch auf der Autobahn natürliche Verkehrsberuhigungen wie Hunde, Affen, Ziegen, Esel, Kühe und Wasserbüffel auf. Sie kreuzen die Fahrbahn, liegen dort aber auch schon mal einfach und machen ein Nickerchen. Selbst ein Dromedar musste Manfred einmal anhupen, damit es nicht weiter auf die Fahrbahn lief.

Sehr gute Straßen werden nicht selten von sehr schlechten abgelöst. Es ist täglich alles möglich. Gute, neu geteerte, gut markierte Straßen münden in kilometerlange Abschnitte mit Schlaglöchern, richtigen Kratern, Baustellen jeder Art und unterschiedlichsten Bodenbelägen. Für 350 Kilometer benötigen wir nicht selten bis zu sieben Stunden. Die Mautstraßen sind in einem verhältnismäßig guten Zustand und nicht so voll. 

Die fast größte Herausforderung stellen jedoch die zahlreichen Schwellen, von mir Bumper genannt, dar, die förmlich aus dem Asphalt zu wachsen scheinen. Sie wachsen an den unmöglichsten Stellen – dick, dünn, hoch, markiert, völlig unscheinbar. Manchmal werden sie angekündigt, meist jedoch nicht. Es kommt fast jeden Tag vor, dass wir einen erst im letzen Moment wahrnehmen oder ganz übersehen. Zwischenzeitlich hat unser Amgio schon zweimal mit allen Vieren abgehoben. Beim ersten Mal dachte ich noch in der Luft schwebend, dass es das jetzt war mit der Reise. Aber wir haben aufgesetzt und waren offensichtlich aufgewühlter als unser treuer Begleiter. 

Freestyle

Erst gestern fragte eine amerikanische Urlauberin an der Tankstelle, ob wir unser Auto tatsächlich selber fahren.
Mittlerweile frage ich mich, ob ich Manfred für die Verfolgungsjagd im nächsten James Bond Film vorschlagen soll. 

Aber im Ernst. Manfred ist als Fahrer sehr gefordert und hat stets beide Hände am Steuer und den Blick nur auf die Bahn gerichtet.

Trotzdem hat unser rechter Außenspiegel mit ein paar Millimetern den Container eines LKW’s erwischt, so dass das Blinkerglas gebrochen ist. Der Spiegel hat sich noch nicht einmal eingeklappt und der Blinker funktioniert noch. Aber es war doch eine Schocksekunde. Und als Beifahrerin im Linksverkehr kommen mir die entgegenkommenden Fahrzeuge so manches Mal sehr nah.

Manfred entwickelt gerade seinen ganz eigenen Fahrstil – echt indisch. Die Rechts-, Linkskombinationen auf der Autobahn, das Hupen mit unsere eigens installierten lauten Hupe und das Schlängeln durch die vollen Straßen in den Innenstädten machen schon was her… Wie soll das nur werden, wenn wir wieder in Deutschland sind.

Es ist wohl so, dass bei Unfällen immer der schuldig ist, der mehr Geld hat. Gut zu wissen, oder? Lassen wir es also nicht darauf ankommen.

Letztlich ist unsere Bilanz auf den ersten 20.000 Kilometern recht gut. Bis auf eine Schraube im Reifen und dem kaputten Blinkerglas sind wir bislang von größeren Katastrophen verschont geblieben.

Die längste Schnitzeljagd meines Lebens

Wer mich kennt, der weiß, dass ich Schnitzeljagden und Städtespiele liebe. So ist es nicht verwunderlich, dass ich mich jeden Tag aufs Neue freue, das Beste aus den erhaltenden Koordinaten zu machen. Manfred ist da von Hause aus weniger spielfreudig.
Wir nutzen für die Navigation Google Maps und haben auch die Karten von Organic Maps runtergeladen. In der Regel nutzen wir beide Möglichkeiten und vergleichen die Vorschläge. So stehen immer mehrere Möglichkeiten zur Verfügung und die Qual der Wahl ist nicht immer leicht. Die Diskussionen, die wir so manches Mal sehr engagiert führen, könnt ihr euch sicher vorstellen…

Hinzu kommt, dass sich die Systeme manchmal nicht ganz so gut auskennen und an verworrenen Kreuzungen etwas Zeit vergeht, bis in den eigentlichen Weg hinein gezoomt wird.

So haben wir uns dann auch schon in der einen oder anderen Altstadt wiedergefunden, neugierig beäugt von Passanten und Händlern. Es wäre sicher schon mutig gewesen, überhaupt mit einem anderen Fahrzeug als einer Rikscha oder einem Moped dort durchzufahren. Und dann kommen wir… eilig wurden Mopeds und andere Gegenstände in Sicherheit gebracht. Was soll ich sagen: Es hat gepasst und Manfred hat auch diese Prüfung mit Bravour bestanden.

Mumbai erleben

In Mumbai waren wir zwei Tage. Am ersten Tag sind wir die klassischen Touristenattraktionen abgefahren und haben unsere Fotos geschossen. Irgendwie war ich am Abend unglücklich, da ich den Eindruck hatte, Mumbai zwar gesehen, aber nicht erlebt zu haben.
Wenn Manfred und ich Städte entdecken, bummeln wir von morgens bis abends umher, oft auch in weniger touristischen Gegenden. Wir lassen uns einfach von Impulsen, die sich ergeben, treiben. Natürlich haben wir auch ein paar Ziele, die wir ansteuern wollen, aber die stehen nicht im Fokus. Außerdem essen wir gern in Lokalen jenseits der Touristenströme.

Im Reiseführer hatte ich von einer geführten Tour durch einen der vielen Slums gelesen. Der Anbieter reinvestiert 80 Prozent der Einnahmen in Projekte des Slums. Das Konzept fand ich gut und der nächste Tag war zur freien Verfügung.

Es fanden sich vier weitere Personen, die sich mit uns noch einmal auf den Weg in die Stadt machen wollten.

Und was soll ich sagen, es hat sich mehr als gelohnt. Der Start in der deutschen Bäckerei, die Busfahrt und das Schlendern durch die weniger touristischen Gassen haben mir schon große Freude bereitet. 

Unterwegs in Dhavari

Die dreieinhalb Stunden im Slum waren bislang wohl das eindrücklichste, was ich ganz hautnah von Indien erlebt habe. Es hat mich sehr überrascht, dass es im Slum sehr sauber war und auch nicht gestunken hat. Das war in meiner Vorstellung ganz anders. Überrascht hat mich zudem, was die Menschen, die hier oft in der x-ten Generation leben, aus ihrer Misere gemacht haben. Es sind etliche Betriebe in den Bereichen Plastikverwertung, Textilverarbeitung, Leder, Töpferei, Metallverarbeitung und Bäckerei entstanden. Die Arbeitsbedingungen sind aus unserer Sicht sicherlich katastrophal. Aber die Menschen hier sind glücklich überhaupt Arbeit zu haben. Etliche kommen sogar eigens aus den Dörfern, um hier einige Monate zu arbeiten und ihre Familien auf dem Land zu unterstützen. Sie haben sehr lange Arbeitstage und schlafen nachts in den Produktionsstätten.

Wir sind durch kleine, dunkle, enge Gassen des Wohnviertels gelaufen und haben die ärmlichen Behausungen gesehen, oftmals ohne Türen. Zeitweise hatte ich das Gefühl, mich in einem Labyrinth zu befinden und keine Idee zu haben, wie ich dort wieder heraus komme. Uns wurde erklärt, wie hoch das Wasser im Monsun in den Gassen steht. Ich mag mir gar nicht vorstellen, wie rapide sich die Lebensverhältnisse im Monsun verschlechtern, wenn Gebäude und enge Gassen voll Wasser laufen und jegliche Infrastruktur zusammenbricht – im Slum, aber auch auf den Dörfern, in denen wir die schon ärmlichen Lebensbedingungen gesehen haben.

Insgesamt wirkte der Slum auf mich wie eine Insel in der Stadt. Insgesamt soll es 2.000 Slums in Mumbai geben. Slum nennt man Gebiete, in denen Menschen auf Land, das ihnen nicht gehört, sesshaft werden. Das ist in Mumbai ein großer Teil der Bevölkerung. In einigen Gebieten wurde der Wohnsitz für Bewohner, die seit vielen Jahrzehnten dort leben, legalisiert. Sie haben Zugang zu Strom und Wasser. Die meisten leben in den Slums jedoch ohne eigentliche Berechtigung und unter sehr schwierigen Bedingungen.

Ich bin froh, dass ich für einige Stunden einen Einblick in diese Lebenswelt bekommen durfte. Die Eindrücke wirken noch nach und lassen mich sehr demütig werden für das, was für uns normal ist.

Zurück zum Stellplatz haben wir uns dann eine Zugfahrt gegönnt. Eine Erfahrung, die sicher auch zu den 111 Dingen gehört die frau in Indien erlebt haben sollte. Allerdings waren die Züge auch nicht voller, als zur Rushhour im Ruhrgebiet, aber dafür indisch.
Delhi und Mumbai gehören zu den Megametropolen dieser Welt, zu denen übrigens auch das Rhein-Ruhr-Gebiet gehört. Mir war gar nicht bewusst, dass ich selbst in einer Megametropole lebe. Frau lernt ja nie aus. Und reisen bildet ungemein, dem kann frau sich gar nicht entziehen.

Urlaub von der Reise

Zwei Tage später haben wir in Goa für sieben Nächte innerhalb einer Hotelanlage direkt am Strand gestanden.

Bis auf die Bootstour und ein gemeinsames Abendessen, habe ich an keiner Aktivität teilgenommen. Es war einfach erholsam, mal ein paar Tage alles sacken zu lassen und den eigenen Rhythmus zu leben.
Die Hotelanlage habe ich mir noch nicht einmal angeschaut. In den Ort bin ich am Strand entlang gelaufen und habe dort die immer gleichen Geschäfte besucht. Ein Schneider hat mir die von mir vorbereiteten zusätzlichen Moskitonetze nebst Klettbändern zusammengenäht. Dafür bin ich sehr dankbar, denn mehrere Meter mit der Nadel zu nähen, ist sehr mühsam.
Der Gemüsehändler hat mir Obst und Gemüse so herausgesucht, dass sie am angegebenen Tag die nötige Reife hatten und in einem Geschäft hat die Besitzerin tapfer gewartet, bis ich mein Versprechen eingelöst und eine Hose gekauft habe.

Mit Ulrike und Wilhelm waren wir an zwei Abenden im Ort lecker Essen und haben uns zum Ausklang noch einen Cocktail am Strand gegönnt.
Ansonsten habe ich meine Technik auf den neusten Stand gebracht, Fotos gesichert, und … wo ist eigentlich die Zeit geblieben.

Goa habe ich also als eine entspannte Zeit in Erinnerung und hätte noch ein paar Tage bleiben können. 

Die Karawane hat sich wieder in Bewegung gesetzt

Aktuell setzen wir unsere Reise in den Süden Indiens fort. Je südlicher wir kommen, desto schöner wird die Landschaft. Hier im Süden gibt es viel mehr Flüsse, Seen und Landwirtschaft. Wir fahren durch eine hügelige satt grüne, irgendwie verspielt wirkende Landschaft. Die Ortschaften sind tendenziell sauberer, die Häuser wirken gediegener. Im Moment ist Erntezeit. Vom Zauber der Adventszeit kann hier keine Rede sein. Der wirkt wie aus einer anderen Zeit, einer Welt, die weit weg ist.

Nach wie vor ist unser Programm sehr umfangreich. Mehrfach in der Woche machen wir gemeinsame Ausflüge, besuchen Tempel, Paläste und andere Weltkulturerbestätten, kosten das landestypische Essen und bummeln über besondere Basare und Märkte.

In Indien erwarten uns noch etliche Wochen auf dem Weg zum südlichsten Punkt, dann entlang der Ostküste Richtung Nepal. Dort werden wir Anfang Januar sein.

Myanmar, ehemals Burma, werden wir leider nicht bereisen können. Die Kämpfe zwischen Militär und Aktivisten sind zu heftig. Das Risiko, zwischen die Fronten zu geraten, ist zu groß.
Von daher werden wir unsere Wohnmobile im Februar von Kalkutta nach Bangkok verschiffen müssen. Zu gegebener Zeit mehr.

Saradevi
Bandipur, 30.11.2022

Unserer Reise durch Indien im Oktober bis Dezember 2022 (Indien Teil 1)

Wir freuen uns auf den Austausch mit dir...

Dieser Beitrag hat 2 Kommentare

  1. Gerd Grauvogl-Bruns

    Hallo Sabine und Manfred und Grüße vom Niederrhein im Schmuddelwetter.

    Liebe Sabine – ich habe deinen Bericht mit viel Genuß und mit einigem Schmunzeln an der einen oder anderen Stelle (Manfred in einem James Bond Film in einer halsbrecherischen Verfolgungsjagd ) gelesen.
    Manches von mir erlebtes kam aus der Vergangenheit wieder in Erinnerung (Tour durch einen Slum in Bombay) und oftmals kamen sogar die Gerüche wieder da. Du schreibst und beschreibst hervorragend und ich bin überzeugt, daß Du eine fantastische Journalistin geworden wärst. Im Grunde bist du das jetzt und ich erinnere mich lebhaft an ein Buch, welches ich vor einiger Zeit gelesen habe: Paul Theroux: Tief im Süden. Hierin beschreibt der Autor seine Reiseerlebnisse durch den Süden der Vereinigten Staaten, wobei ihm neben der Landschaft ganz besonders die Menschen am Herzen liegen.
    Kurzum: ich genieße deine Reisebeschreibungen ganz besonders und nehme mir dafür entsprechende Zeit bzw. brauche dafür das passende Zeitfenster. Deshalb las ich erst jetzt deinen Bericht vom 30. November.

    Ich wünsche Euch von der Heimat trotz der Ferne und Exotik eine gute Weihnacht.

    Liebste Grüße an euch beide
    Gerd

    1. saradevi

      Lieber Gerd,
      es freut uns, dass du dir die passenden Zeitfenster für unsere Beiträge nimmst.
      Wir hatten eine very indische Weihnacht mit lauter Discomusik zum Essen. Aber immerhin haben wir dann auch gleich nach dem Essen einen Verdauungstanz gemacht. Laut und bunt gilt halt auch zu Weihnachten.
      Euch noch einen guten Jahresausklang und besseres Wetter ;))
      Liebe Grüße
      sama