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Ein unerwarteter Kulturschock

Bereits um fünf sitzen wir im Taxi zum Flughafen von Mumbai. Ein letztes Mal rauscht die gerade erwachende Stadt an uns vorbei. Seit unserer Einreise nach Indien sind fast vier Monate vergangen. Müde, und auch ein wenig wehmütig, freue ich mich dennoch auf das, was kommt.

Unser heutiges Ziel ist Bangkok, die Hauptstadt Thailands. Für zwei Nächte haben wir uns am Rande der Altstadt einquartiert, dann geht es weiter nach Pattaya. Dort werden wir für 10 Nächte eine Wohnung im 21. Stock mit Blick in die Bucht beziehen, wollen ausschlafen, Beiträge tippen, Fotos sortieren und ein wenig zur Ruhe kommen.

Es ist ein komisches Gefühl, alle anderen Mitreisenden zu verabschieden und die Reise für diese Zeit zu unterbrechen. Vielleicht ist es eine Chance für mich, Rückschau zu halten auf das, was war und wie es war und mich neu auszurichten und einzustellen. Ich lasse es mal auf mich zukommen. 

One night in Bangkok

Wer kennt nicht den Song der Abba-Männer aus den Achtzigern. Ich war damals in der achten Klasse und habe, unter Leitung eines Sportlehrers, zu diesem Song mit anderen einen Tanz zur Begrüßung der Fünftklässler einstudiert. So meine bisherige Verbindung mit Bangkok. 

Nach vierstündigem Flug sitzen wir im Bus. Wir fahren auf einer gut ausgebauten Autobahn und ich lasse die Neustadt mit ihren Wolkenkratzern auf mich wirken. So viele Wolkenkratzer habe ich schon seit langem nicht mehr gesehen.

Erstmals nach langer Zeit erspähe ich auch wieder einen VW-Bus und sogar einen Sprinter.
Es ist auffallend, dass sich die Verkehrsteilnehmer an die Regeln halten. Fahrzeuge bleiben in ihrer Spur. Es wird nicht gehupt. Ampeln sind mehr als eine Empfehlung. Es liegt kein Müll herum, es gibt Abfalleimer, selbst im Bus. 

Es wirkt hier alles sehr westlich – da ist sie wieder, die falsche Formulierung durch meine offensichtlich sehr westliche Brille.

Wer schon einmal in Thailand war, findet meine Beschreibungen wahrscheinlich irritierend. Nachdem ich mich allerdings in den letzten Monaten langsam, aber stetig von westlichem Aussehen und westlichen Standards wegbewegt habe, sind das die ersten Dinge, die mir ins Auge springen.

Bangkok ganz gemütlich

Da wir im Anschluss nach Pattaya noch einmal eine Woche Bangkok auf dem Programm haben, lassen wir es gemütlich angehen. Am ersten Abend essen wir in einem typisch thailändischen Schnellrestaurant, am ersten Morgen gibt es Frühstück in einem Café, das eher auf westliche Touristen spezialisiert ist. Das stört uns ausnahmsweise nicht. Es ist schön, einfach bekannte Speisen zu wählen und leckeren Kaffee zu trinken.

Wir lassen uns treiben

Wie es unsere Art ist, lassen wir uns einfach treiben und werden belohnt. Fast gegenüber unserer Unterkunft befindet sich das altehrwürdige Kloster „Wat Bowonniwet“, in dem drei der letzten vier Könige eine Zeitlang als Mönch gelebt haben. Wir schlendern umher und nehmen an einer Zeremonie mit Mönchen zu Ehren des 96. Geburtstags einer Thailänderin teil. 
Von hier führt uns unser Weg in die Khaosan Road, eine Backpacker Hochburg. Zum Glück ist es erst Mittag, so ist der Schock für mich nicht ganz so groß. Ich bin überfahren von all den Urlaubern, Touristen und dem auf sie (und somit irgendwie ja auch auf mich) abgestimmten Angebot. Alles wirkt ein wenig wie Ballermann – oder jedenfalls so, wie es dort in meiner Phantasie ist. Mich hat es noch nie in solche Gegenden gezogen, so dass ich noch nicht einmal weiß, ob der Vergleich stimmt.

Wir reisen nun schon im achten Monat und ich habe in der Zeit kaum Touristen erlebt. Ich fühle mich sehr deplatziert, fremd und völlig überfahren. Das habe ich in meinem Leben so noch nicht erlebt.

Eine Bootsfahrt durch die alten Wasserstraßen Bangkoks mit Besuch eines weiteren Klosters mit großer Buddhastatue und  eines typischen „Floating Markts“ versöhnt mich schließlich ein wenig, genauso wie die Aussicht auf die abendliche Skyline von Bangkok vom Linienboot aus und das gemeinsame Abendessen mit Ulrike und Wilhelm.

Eine neue Perspektive

Mit dem Taxi fahren wir zu viert nach Pattaya, in die Gegend, wo wir zwei Wochen später unseren Amigo in Empfang nehmen wollen. Wir haben in unterschiedlichen Stadtteilen Wohnungen gebucht. Unsere liegt im 21. Stock. So hoch habe ich noch nie gewohnt. Wir beziehen eine 77 qm große Wohnung mit zwei Balkonen und haben eine tolle Aussicht über das nördliche Pattaya, bis hin zum fernen Hafen.
Letztlich weiß ich gar nicht, wo die Zeit geblieben ist. Wir lassen es gemütlich angehen, schlafen aus, vervollständigen den Block, sortieren Fotos, besuchen einen Mercedeshändler, machen ein paar Spaziergänge, kochen einige Male selbst und gehen – auch mit anderen Teilnehmenden unserer Tour – zweimal abends Essen.
An einem Abend genießen wir die deutsche Küche im Pfälzer Stübchen und kommen alle zum selben Ergebnis: Besser wären wir in Deutschland nicht verköstigt worden. Um so leckeres Schnitzel, Kassler, Gulasch und Sauerbraten zu essen, braucht man also nur nach Pattaya zu fahren.
Letztlich geht es mir in Pattaya, das wohl auch eher dem Ballermann gleicht, ähnlich wie in der Partymeile in Bangkok. Nach all den Monaten auf unserem Weg durch eine ganz andere Welt, ich mir das „pralle Leben“, hier garniert mit reichlich Prostitution, einfach zu viel.
Hinzu kommt, dass ich etliche Tage heiser bin und schließlich plagt mich noch ein Husten. Da für den Norden Thailands und für Bangkok Smogwarnungen ausgesprochen werden, überlegen wir, für die letzte Woche statt zurück nach Bangkok, weiter in den Süden zu fahren, auf eine kleine Insel auf Höhe von Kambodscha.

Wie im Paradies

Nach zwei Tagen Internetrecherche habe ich eine Transportmöglichkeit sowie ein nettes Resort mit eigenem Strand gefunden. Als schließlich auch der Transport bzw. Verbleib unserer Solarpanels geklärt ist, die Ines mit aus Deutschland nach Bangkok bringt, geht es für uns nach Koh Mak.

Koh Mak erreichen wir per Sammeltaxi und Speedboot. Die Insel ist klein und überwiegend autofrei. Die ersten drei Tage teilen wir uns die Straßen mit heimischen Rollerfahrern und anderen Touristen, die sich ebenfalls einen Roller geliehen haben.
Die sechs mal sechs Kilometer haben wir bereits am zweiten Tag erkundet. Alles ist überschaubar, herrlich. Wunderschöne, nicht überlaufene Strände laden zum Verweilen ein. Das Wasser im Golf von Thailand ist mit seinen fast 30 Grad gerade richtig für mich. Wir unternehmen eine Boots- und eine Schnorcheltour auf die umliegenden, größtenteils unbewohnten Inseln.
Die Unterwasserwelt hier ist erstaunlich vielfältig. Ich schnorchle an allen drei Spots eine gute halbe Stunde. Am zweiten Spot habe ich für eine kurze Zeit die Idee, geschrumpft zu sein und mich gemeinsam mit all den bunten Fischen in einem großen Aquarium zu befinden.
Es ist einzigartig, für eine kurze Zeit teil eines Fischschwarms zu sein, einen Schwarm mit über tausend Fischen vor sich zu sehen oder von oben auf eine intakte Korallenwelt zu blicken.
Leider schwimmen immer mal wieder auch kleinere Partikel an Plastik an mir vorbei. Zum Glück wird hier in der Region sehr auf den Erhalt der Umwelt geachtet. Einmal in der Woche tummeln sich beispielsweise die sogenannten „Trash Heroes“, freiwillige Müllsammler, auf der Insel und sammeln Müll – auch den angeschwemmten. 1,7 Tonnen waren es allein im Jahr 2018(!). Ein  toller Beitrag, um das kleine Paradies hier, aber auch unseren gemeinsamen Planeten, zu erhalten. „Trash Heroes“ haben sich ihren Namen verdient. Es sollte sie überall geben…

Gänzlich unaufgeregt

Die entspannte und unaufgeregte Art der Inselbewohner begeistert uns. Wir erleben ein ganz anderes Thailand als zuvor – der Unterschied könnte nicht größer sein.

Auf der Insel geht alles einen eher ruhigen Gang. Auf Koh Mak gibt es keinen Massentourismus, stattdessen haben wir unberührte Natur und ursprüngliches Leben vorgefunden. Autos und hektischen Verkehr sucht man vergebens. Vielmehr scheint auf dieser Insel der Alltag parallel zum Tourismus weiter zu laufen. Die Menschen hier leben neben dem Tourismus noch von Landwirtschaft und Fischerei. Wir entdecken auf unseren Streifzügen Kautschukplantagen, eine Schule, einen Kindergarten, eine Post, ein Fußballstadion, mehrere Lebensmittelhändler und typische Garküchen genauso wie Resorts und auf Touristen abgestimmte Lokalitäten und Angebote. Es gibt keine Hotelburgen und laute ,sehr touristische Wassersportarten, etc. sind schlichtweg verboten. Vielleicht ist es der gesunde Mix an Einnahmequellen, der es ermöglicht, gewisse, schädliche Entwicklungen gar nicht erst mitzumachen.

Nach dem Frühstück in einem unserer Lieblingscafés bekomme ich einen Einblick in die Art des örtlichen Batiken. Kleidungsstücke werden mit heimischen Farben aus Baumstämmen, Blättern, Obst oder Erde gefärbt. Die Abdrücke der heimischen Blätter erfolgen über ein Verfahren des Dünstens und anschließender Fixierung. Ich habe Freude daran, dass die Künstlerin sich die Zeit nimmt, mir alles in Ruhe zu zeigen und zu erklären und daran, dass hier traditionell und nachhaltig produziert wird.

Da der Treffpunkt fürs Schnorcheln unweit unseres Resorts liegt, bekommen wir vorgeschlagen, uns direkt am Pier einzufinden. Passende Schwimmflossen werden mitgebracht. Auf der Insel gibt es nur einen ATM und der funktioniert gerade nicht. So ist schnell eine alternative Lösung gefunden, wie ich unsere Schulden auch im Nachhinein noch bezahlen kann.

Unser kleiner Bungalow ist einer von fünf, die direkt am Strand, quasi in einer Sackgasse liegen. Vom Bett und von der Terrasse aus blicken wir aufs Meer und erleben frühmorgens einen farbenprächtigen Sonnenaufgang. 

Wir schlafen bei offener Terrassentür – natürlich mit Mückenschutz – und lauschen den Wellen und den Vögeln. Unmittelbar vor unserem Bungalow befindet sich ein kleines Korallenriff, das unser Gastgeber pflegt. Gemeinsam mit der Uni in Bangkok wird hier erfolgreich am Erhalt der Korallenriffs gearbeitet. Er sagt, er habe drei Gärten, die er täglich pflegt – nur, dass seine eben unter Wasser sind. Ein großartiges Projekt, wie ich finde. 

Einfach mal nichts tun

In solch paradiesischer Umgebung gönnen wir uns zwei Tage mit Nichtstun, sitzen einfach nur auf der Terrasse und verlassen den Bungalow nur zum Schwimmen und Essen.
Unsere Gastgeberin ist eine gute Köchin. Gegessen wird in einem kleinen Restaurant direkt am Meer. So lassen wir uns zum Frühstück und Abendessen von ihr verwöhnen und genießen die private Atmosphäre direkt am Wasser.

Probleme sind da, um gelöst zu werden

Während unseres Aufenthalts auf Koh Mak bekommen wir die Info, dass unsere Solarpanels nun doch nicht mitgebracht werden konnten. Am Flughafen stellt sich heraus, dass Ines kein Sperrgepäck mitnehmen kann und die Aufgabe als Frachtgut über tausend Euro kosten würde. Da wir während ihres Anrufes schon schlafen, entscheidet sie sich – ganz in unserem Sinne –  gegen die Aufgabe als Frachtgut.
Schade nur, dass bei der Buchung nicht darauf geachtet wurde, dass Sperrgepäck mitgenommen werden kann. So besteht wahrscheinlich erst in zwei Monaten die Möglichkeit, die Panels zu bekommen, wenn noch einmal jemand mit indonesischen Pässen kommt.
Solange werden wir wohl auf unseren Kühlschrank verzichten, um für alles andere genügend Strom zu haben…

Und auch aus dem Service in der Mercedeswerkstatt scheint es nichts zu werden. Da die Verständigung dort nur mit Googleübersetzer möglich war, haben wir das Angebot unseres thailändischen Guides angenommen, unsere Anfrage durch ihn weiterzugeben. Dank unseres heimischen Mercedeshändlers konnten wir alle notwendigen Artikelnummern benennen und die Anfrage in einer Pdf auf Englisch und Deutsch formulieren. Vielen lieben Dank an der Stelle noch einmal für den tollen Service aus Dinslaken.
Leider bekommt aber auch der thailändische Guide keine Antwort. Wir werden sehen, wie wir die Probleme gelöst bekommen, wenn wir unseren Amigo morgen oder übermorgen – hoffentlich unversehrt – wieder in Empfang nehmen.

Wer hat an der Uhr gedreht?

Erst kam mir die Zeit der Verschiffung so lange vor. Nun ist es schon morgen soweit. Erholt und mit frisch gewaschener Wäsche werden wir uns mit Speedboot und Sammeltaxi auf den Weg zurück nach Pattaya machen und euch demnächst berichten, wie es uns von dort weiter ergangen ist.

Bis dahin schicke ich ein paar Sonnenstrahlen und etwas Wärme in die Heimat.

Eure Saradevi
Koh Mak, 20.03.2023

Unsere Reise durch Thailand im März 2023

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