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Der Start ins Ungewisse

Heute sind wir neunzehn Tage unterwegs. Neunzehn Tage, in denen ich mich ganz allmählich an den Gedanken gewöhnt habe, mich nun wirklich auf dem Weg nach Australien zu befinden. Die ungläubigen Gesichter, wenn ich die Frage beantworte, wo wir hin wollen, sind die gleichen, wie damals, als wir auf den ersten Etappen mit dem Fahrrad von Zuhause nach Finisterre in West-Galizien aufbrachen. Indem ich die Tatsache immer wieder ausspreche, wird unser Vorhaben für mich auf eine besondere Art verbindlich.

Momentan stehen wir in Griechenland auf einem klassischen Zeltplatz am Marmarameer und werden Samstag weiter zum eigentlichen Ausgangspunkt unserer Reise, nach Istanbul, fahren. Seit wir in Den Hoorn (Texel), unserer zweiten Heimat, gestartet sind, haben wir 3611 Kilometer zurückgelegt. Bis Istanbul werden es wohl noch 233 Kilometer sein.

Aufbruch in eine sich verändernde Welt

Dieses mal ist es mir richtig schwer gefallen, mich auf den Weg zu machen. Schon Wochen vor der Abreise hat mich eine emotionale Katerstimmung gepackt und meine Vorfreude in ein Gefühlschaos gestürzt. Ist es überhaupt sinnvoll, in einer so fragilen Zeit zu starten. Fragen dieser Art trieben mich um.

Schließlich ist Corona noch nicht überwunden, vor unserer Haustüre tobt ein Krieg, Wirtschaftskrise und Gasmangel klopfen an und der Kampf für unser Klima will gefochten werden.
Wir starten in eine uns unbekannte Welt, in etwas Ungewisses, außerhalb unserer Komfortzone. Das habe ich immer geliebt und darauf freue ich mich auch jetzt. 

Doch als das Leben noch beständiger war, hatte ich jeweils eine genaue Vorstellung davon, in welche Welt ich zurückkehren würde. Dieses Mal ist das anders. Sicher auch einer der Gründe, warum mir der Abschied diesmal so schwer gefallen ist. Da es für uns jedoch das letzte Zeitfenster für eine solche Reise ist, blieben wir bei unserem Vorhaben.

Die Gewissheit, dass diese Reise mich in besonderer Weise auf den Umgang mit Neuem und Veränderungen vorbereiten und einstimmen wird, lässt mich ebenfalls zuversichtlich sein.

Abschied auf Raten

Es waren diesmal ganz viele Abschiede sehr unterschiedlicher Art. Der Abschied von Gewohnheiten, von meiner vertrauten Umgebung, von lieb gewonnenen Gegenständen. Unsere Wohnung haben wir mit Freude an Hannah untervermietet, das Chalet in gute Hände gegeben. Auch das ist mir nicht leicht gefallen, gleichwohl ich es so gewollt habe.

Und dann der Abschied von Freunden, meiner Familie und meinen Eltern. Es hat mir fast das Herz gebrochen, meine Lieben das letzte Mal vor Abreise in die Arme zu schließen. Auch meinen Eltern ist der Abschied deutlich schwerer gefallen, gleichwohl sie uns auch bei dieser Reise wieder in jeglicher Hinsicht unterstützten. In einem Jahr kann viel passieren – muss es aber auch nicht. Sicher ist, wir alle werden andere Menschen in einer veränderten Welt sein, wenn wir zurückkehren.

Raumwunder Amigo

Ich bin stolz auf unseren Amigo und überglücklich, das wir das Wohnkonzept angepasst und die Trockentrenntoilette sowie den Trinkwasserkanister eingebaut haben. Wir sind viel flexibler und haben gefühlt viel mehr Platz auf unseren möblierten 10 qm. Vorgestern habe ich mich vor den Tisch gestellt und mich mit ausgestreckten Armen einmal im Kreis gedreht, ohne irgendwo anzustoßen! Das ist sicher außergewöhnlich. Auch die Installation des mobilen Sonnenpanels erweist sich aus Geschenk. Danke, lieber Daniel, für deine Unterstützung und dass du den Amigo zu deiner Angelegenheit gemacht hast.

Stresstest Eingewöhnung

Es erweist sich als äußerst hilfreich, dass wir schon eine gewissen Zeit unterwegs sind, bevor wir  uns mit den anderen Abenteuren treffen. Nach anfänglichen Diskussionen über Abläufe, Vorgehensweisen und die Ordnung im Amigo, haben wir uns wieder eingespielt. Klar, wir sind sehr unterschiedlich und werden auch weiterhin so unsere Diskussionen haben – aber im Großen und Ganzen läuft es.
Spannend finde ich es, dass wir wieder lernen, mit den Gezeiten zu leben. Darunter verstehe ich, dass wir unseren Stromverbrauch an der Sonne und der Tageszeit ausrichten. Denn, wenn wir am Abend, wenn es dunkel ist, alle Geräte ans Netz bringen, bricht das System zusammen. Wir sparen wieder extrem an Wasser und auch an anderen Ressourcen. Außerdem haben wir einige Bedarfsmittel für die gesamte Reisezeit dabei und es soll ja bis zum Ende reichen. 

Einen kühlen Kopf bewahren

Bei sommerlichen Temperaturen sind wir gestartet und durften wettertechnisch bereits mehrfach tropische Nächte im Amigo verbringen. Ulrike, eine andere Teilnehmerin, die sich mit ihrem Mann Wilhelm gerade ebenfalls Richtung Istanbul bewegt (https://www.wolfx.de), nimmt es sportlich. Das Wetter sei ein Training für das, was uns während der Tourt erwartet. Wenn das so ist, benötige ich wohl noch einen straffen Trainingsplan. Ich komme mit der Hitze nicht mehr ganz so gut klar wie früher und bin stets auf der Suche nach einem schattigen Plätzchen. Vor ein paar Tagen habe ich mich erst abends aus dem Schatten vom Amigo gelöst und ein Bad im Meer genommen. Mein Kopf fühlte sich richtig „matschig“ an und ich war über Tag zu nichts zu gebrauchen – tagsüber stieg das Thermometer auf stolze 36 Grad, in der Nacht waren es noch schwüle 26. Wären das meine neuen Lebensbedingungen, ich würde nicht lange fackeln und mich Richtung Norden aufmachen. Diejenigen, die das in den nächsten Jahren aufgrund der Klimakrise machen werden, kann ich gut verstehen.

Neugierig auf den Balkan

Auf unsere Tour durch den Balkan war ich sehr gespannt. So gerne und oft ich bislang gereist bin, der Balkan war auch für mich Neuland.
Aufgrund der Ferienzeit haben wir uns bewusst für die Strecke durchs Landesinnere entschieden. Die Route entlang der Adria heben wir uns für einen späteren Besuch bei Bernd in Griechenland auf.

Klima bestimmt Route

Richtung Istanbul haben wir uns durch Slowenien, Kroatien, Bosnien und Herzegowina, Serbien und Bulgarien bis nach Griechenland treiben lassen. Die freundliche Mitarbeiterin von Google Maps, die uns den ganzen Tag begleitete, haben wir gebeten, eine Route ohne Maut und Autobahnen für uns auszusuchen. So waren wir länger unterwegs, dafür aber auch auf wenig befahrenen Strecken. Wir haben etliche Gebirgsketten mit spektakulären Ausblicken überquert, zahlreiche Dörfer passiert und durften über weite Strecken Flüsse unsere Begleiter nennen. Spätestens jeden zweiten Tag haben wir ein neues Land durchfahren.

Unsere Klimaanlage haben wir nur eingeschaltet, wenn es bei offenem Fenster nicht mehr auszuhalten war. Es ist schon irritierend, die Klimaanlage mit 28 Grad auf den maximalen Bereich der Heizung einzustellen.

Egal, wo in Europa ich mich südwärts bewege, ab einer gewissen Temperatur ist es, als würde ein Schalter umgelegt. Die Umgebungen sind zunehmend darauf ausgerichtet, dass das Leben draußen stattfindet, die Straßen sind lebendiger, die Menschen kommunikativer – außer in der Mittagszeit. Da wirkt alles wie ausgestorben. Ein südländisches Leben. In den Städte, die wir besuchten, gab es viele große Parks und Plätze zum Verweilen. Ich hoffe, dass wir uns im Zuge unserer deutschen Städteplanung davon etwas abschauen.

Von Hauptstadt zu Hauptstadt

In das lebendige und quirlige Ljubljana habe ich mich direkt verliebt. Zagreb hat im zweiten Anlauf gepunktet. Bei Ankunft waren wir durch das weniger schöne Industriegebiet und die Außenbezirke gefahren, so dass ich mich tags drauf bei 34 Grad kaum aufraffen konnte, mit öffentlichen Verkehrsmitteln die Stadt zu erkunden.  Ähnlich war es auch in Sarajevo. Hier fing schon mit dem Warten am Bahnsteig das Abenteuer Stadterkundung an. Impressionen unserer Stadtrundgänge findest du auf der Seite www.sama.report unter „1. Balkan Juli 2022“. Die Städte Skopje und Sofia haben wir uns aufgrund der Temperaturen von knapp unter 40 Grad nicht angesehen. Auch ein Grund wieder zu kommen, dann aber vielleicht lieber im Herbst.

So viele kontrollierte Grenzen wie in den vergangen Tagen, habe ich seit Jahren nicht passiert. Vor der bulgarischen Grenze haben wir bei 39 Grad über zwei Stunden zugebracht. Die Einreise in die Türkei ging etwas schneller. Fremd ist mir jedoch, das Kontrolle auch bedeutet, dass jemand eigenständig in den Amigo steigt und selbständig Schränke öffnet. Amüsant fanden wir hingegen die Frage, ob wir noch ein Motorrad im Amigo beherbergen. Sie wurde uns gleich zweimal gestellt.

Erste Planänderungen

In den kommenden Tagen berichten wir weiter über unsere Erlebnisse aus der Türkei. Wir sind schon gespannt auf das Treffen mit den anderen am 01. August in Istanbul und die Weiterreise nach Kappadokien.

Leider werden wir die Länder Usbekistan, Kirgisistan, Tadschikistan und Turkmenistan nicht bereisen können, da Turkmenistan die Grenzen noch nicht wieder geöffnet hat. Von daher werden wir über Georgien und Armenien in den Iran reisen. Ich persönlich finde das sehr schade, aber so ist das nunmal. Nunmehr freue ich mich auf mehr Zeit in der Türkei und Georgien und Armenien. Wer weiß wofür es gut ist, dass wir nun die alternative Route fahren.

Eine gute Zeit und ein schönes Wochenende

Saradevi

Mürefte, 29.07.2022

PS: Auch, wenn es vielleicht komisch liest. Aber wir haben in Griechenland auf dem letzten Campingplatz endlich geschafft, unsere Filme der Nordamerikatour hochzuladen. Wenn ihr Lust und Zeit habt, dann schaut doch mal vorbei… https://www.sama.report/movies-vom-samatrail/

Wir freuen uns auf den Austausch mit dir...

Dieser Beitrag hat 12 Kommentare

  1. Susanne

    Hallo,Ihr Lieben.Das hört sich richtig spannend an. Ich beneide Euch gerade richtig, was eigentlich nicht so meine Art ist. (Ich meine Neid). Ich bin schon auf Euren nächsten Bericht gespannt. Die allerliebsten Grüße

    1. saradevi

      Liebe Susanne,
      ja, ich denke, dass wird auch richtig spannend. Wir halten dich auf dem Laufenden und freuen uns, dass du unsere Reise verfolgst.
      Wahrscheinlich werden wir aufgrund des straffen Programms und mangels Internet nicht so aktiv sein können wie in den USA, aber wir halten euch auf dem Laufenden!!!
      Liebe Grüße in die Heimat, sama

  2. Jenny

    Saradevi,

    Hello from Michigan! I love reading about your travels. You are on an extraordinary adventure. I’m looking forward to blog posts. I wish you the best as you travel. Thinking of you.

    Jenny Hohner

    1. saradevi

      Dear Jenny,
      many love greetings “across the pond” to Michigan!
      We are very pleased to read from you / you guys. How are you guys doing? We have followed with excitement the construction of your boat and read about your first tours. Now you have two TinyHouses – one on wheels and one floating. We are very happy for you!
      Where will you go next?
      How wonderful that you accompany us virtually.
      Have you seen our film about Texas 2020? You are a part of it. We just recently made it and loved reminiscing about our time there and meeting you guys.
      All the best from Istanbul
      Saradevi

  3. Ute Urban

    Herzliche Grüße von Ute und Frank.
    Wir werden auch diese Reise von euch virtuell verfolgen.
    Diese Woche sind wir noch im Urlaub am Lago di Como.
    Dann geht es in Etappen zurück nach Oberhausen.

    1. saradevi

      Liebe Urlauber,
      wir freuen uns auf eure Begleitung und wünschen euch noch eine tolle Zeit im Süden. In welcher Besetzung seid ihr denn unterwegs?
      Genießt die Zeit!
      sama

  4. Gerd Grauvogl-Bruns

    Hallo ihr zwei!
    Ich werde eure Reise nach Australien mit Spannung verfolgen. Das eure Route geändert werden musste und ihr so spannende Länder wie Usbekistan und Kirgistan nicht bereisen könnt, finde ich auch sehr schade. Gerade für Usbekistan hätte ich euch Samarkand und Buchara ans Herz legen können. Aber so ist das leider nunmal in unserer heutigen Zeit der vielfältigen Krisen. In spannender Erwartung eurer weiteren Berichte wünsche ich euch eine ereignisreiche und gute Reise. Euer Abenteuer beginnt jetzt erst!
    Ganz liebe Grüße Gerd

    1. saradevi

      Lieber Gerd,
      ja, das ist wirklich schade. Auf Samarkand und Buchara hatten wir uns schon sehr gefreut. Aber immerhin gibt es Alternativen und für uns ist alles Neuland.
      Liebe Grüße in die Heimat – wir freuen uns, dass du dabei bist!
      sama

  5. Doris und Günter

    Liebe Sabine, lieber Manfred,
    das erste Ziel ist erreicht, Istanbul. Nun kann eure große Reise beginnen.
    Abschied ist ein scharfes Schwert, das habt ihr in den letzten Tagen an Körper und Seele erlebt. Veränderungen im Leben bringen Abschiede, Trennungen, Neubeginn und Aufbruch mit sich. Vertrautes verlassen, Neues beginnen. In Herz und Seele gibt es Zwiespalt, ist das, was wir vorhaben, so gut, so richtig? Fragen, die innere Spannungen mit sich bringen. Aber, „wer nicht wagt, der nicht gewinnt“. Wenn ihr euren Traum leben wollt, müsst ihr auch den Abschied mit einplanen. 
Schmerzlich oder nicht, Neues wartet auf euch. Euch eröffnen sich neue Welten. Bloggen, Fotografieren, Begegnungen mit Menschen und viel Neues erfahren. Ihr verlasst wieder euer Chalet und wechselt in den Amigo. Euch eröffnen sich andere Perspektiven, die ihr nutzen könnt. Von der Türkei bis Australien gibt es Wunderbares zu erleben. Ereignisse, die euch für immer prägen werden, vielleicht zu einem anderen Menschen machen. Euer Horizont wird größer, die Einstellung gelassener. Also brecht auf in das Ungewisse, ihr werdet es meistern. Wir werden euch digital begleiten!
 Wir freuen uns auf die Rückkehr, bei bester Gesundheit! Und jetzt Leinen (oder Reifen) los!

    Eure Oldies!

  6. Martina und Ralf

    Die “home is my castle” oldies aus dem Nordlicht senden herzliche Grüße. Wir sind dankbar auf diese Weise teilzunehmen an eurer Reise. Euch eine segensreiche Zeit.

    1. saradevi

      Liebe Nordlichter,
      Danke für eure Begleitung und schön von euch zu Lesen. Hier im Amigo werden wir in jedem Zimmer an euch erinnert. Selbst die Schokolade hat es bis nach Istanbul geschafft… sie liegt noch im Kühlschrank…
      Liebe Grüße – auch an den Rest der family
      sama