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Das vergessene Land

Wir reisen über die Grenze Bagratashen – Sadakhlo von Georgien nach Armenien. Gehört habe ich, dass es ein sehr schönes Land sein soll.

Die Einreise verläuft im Großen und Ganzen unproblematisch. Ich muss wieder aussteigen und als Fußgängerin durch den Zoll. Die Mitarbeiter sind alle freundlich und haben auch untereinander viel Spaß. Ein gutes Zeichen, wenn die Arbeitsatmosphäre stimmt.

So rollen wir gespannt und neugierig ins Land. Ich freue mich auf die Woche, die wir hier sein werden.

Nach dem Manfred die Einreisegebühr entrichtet und alle Stempel für den Amigo bekommen hat, fahren wir zu einem kleinen Gebäude, vor dem Diran, unser Länderguide in Armenien auf uns wartet. Hier schließen wir eine Autohaftpflichtversicherung ab und erhalten unsere zwei SIM-Karten, bevor wir im Grenzbereich noch tanken und zu unserem ersten Stellplatz in die Berge Georgiens aufbrechen.

Bereits auf den ersten Kilometern erfreue ich mich an der schönen Natur, und so wird es auch auf der gesamten Fahrt durchs Land bleiben.

Umgeben von Bergen

Bislang hatte ich Armenien nicht auf meinem Zettel, sprich, es stand bislang nicht auf der Liste der Länder, in die ich mal reisen wollte. Armenien ist ein Gebirgsland. 90 % der Landesfläche (29.800 km2) liegen auf über 1000 Meter. Die mittlere Höhe beträgt 1800 Meter. In Armenien leben 3 Millionen Einwohner, ein Drittel allein in der Hauptstadt Jerewan.

Das Land ist klein. Entsprechend kurz sind unsere Etappen. Allerdings sind 100 Kilometer nicht mit denen bei uns zu vergleichen. Je nach Beschaffenheit der Straßen und Anzahl der „Bergetappen“, kann man hier auch gut schon mal zwei bis drei Stunden unterwegs sein.
In den letzten Jahren wurde viel in die Infrastruktur investiert. Während einige Streckenabschnitte quasi nur im „Schritttempo“ zu befahren sind, kommen wir auf anderen zügig voran. Manfred wird nach wie vor sehr gefordert. Er hat immer beide Hände am Lenkrad und meistert die Straßen mit ihren Schlaglöchern, Kerben und Vertiefungen mit Bravour. In Armenien sind weniger Tiere auf den Straßen unterwegs. Dafür tauchen immer wieder unvermittelt Schlaglöcher auf.

Unsere erste Station ist Haghpat. Hier verweilen wir für eine Nacht und schauen uns das Kloster an, bevor wir Richtung Jerewan aufbrechen.
In Jerewan stehen wir für zwei Nächte, machen einen Ausflug zum Garni Tempel und Felsenkloster Geghard. Einer anschließenden Stadtrundfahrt folgt eine Brandy Verkostung bei Ararat.
Von Jerewan geht es weiter zum nördlich gelegenen Sewansee nebst Kloster Sewanawank. Von hier bewegen wir uns nun langsam südlich Richtung Iran. Eine Nacht stehen wir vor grandioser Kulisse an der Karawanserei Orbelian auf über 2300 Metern. Von hier geht es weiter Richtung Noravank und Kloster Tatev bis zur Grenzstadt Meghri.

Auf den Spuren der Mönche

Fast täglich steht der Besuch eines Klosters auf dem Programm. Es sind Kreuzkuppelkirchen in allen Variationen, die wir besuchen, gelegen in den schönsten Gegenden Armeniens. Schon damals wurden die bedeutendsten Gebäude an den strategisch günstigsten, energetischsten und landschaftlich schönsten Orten gebaut.

Wenn ihr die Fotos auf unserer Armenienseite anschaut, wisst ihr, was ich meine.

Von Land und Leuten

Wie auch schon in Georgien, erlebe ich die Menschen hier als eher vorsichtig und abwartend im Kontakt. Ist der Kontakt einmal hergestellt, sind sie äußerst gastfreundlich und freuen sich über Besucher. Einmal werden wir von dem Platzwart eines Fußballstadions, in dem wir stehen, zum Kaffee eingeladen und mit den köstlichen Feigen und Trauben aus eigenem Garten verwöhnt. Unser Guide dolmetscht netterweise für uns, so dass wir ein wenig mehr ins Gespräch kommen. Im Verlaufe der Unterhaltung sagt unser Gastgeber, dass es doch eigentlich egal ist, was für eine Herkunft man hat, sprich, ob man Franzose, Deutscher oder Armenier ist. Er hat so recht, denke ich und dennoch ist es sehr schicksalhaft, wo wir geboren werden und in welchem Land und System wir leben.
Ich denke sehr oft, dass viele unserer Probleme extreme Luxusprobleme sind und wir uns unseres Reichtums und Wohlstandes bewusst sein sollten. Das ist alles andere als selbstverständlich.

Auf dem Weg durchs Land fallen mir die zahlreichen Fabrikruinen und verlassenen Firmengebäude auf. Nach dem Zerfall der Sowjetunion wurden die meisten von ihnen privatisiert und viele neue Besitzer haben alles Inventar verkauft und lassen die Flächen brachliegen. In den sogenannten „dunklen Jahren“ lag die gesamte Industrie brach. Die Menschen hatten in vielen Regionen weder Gas noch Strom. Die Winter waren kalt und lang.

Heute ist die Agrarwirtschaft neben dem Tourismus der größte Wirtschaftszweig. Außerdem versuchen sich Viele im Business und bauen kleine Unternehmen auf.

Wenn wir durch Dörfer fahren, springt mir oft die Armut entgegen. Hier sind die Menschen oft Selbstversorger, halten sich etwas Vieh und bauen Obst und Gemüse an, das sie auch im Straßenverkauf anbieten. Die Frage, wovon die Menschen auf dem Land leben, beantwortet unser Guide mit „Von der Hand in den Mund!“.

In einigen kleinen Ortschaften in den Bergen habe ich trotzdem den Eindruck, dass das Sortiment reichhaltiger ist, als in Georgien. Vielleicht liegt es am Klima, dass hier mehr Obst und Gemüse angebaut werden kann. Oder es ist reiner Zufall.

Jerewan ist der komplette Gegensatz. Die Hauptstadt kommt modern und weltoffen daher. Insbesondere jüngere Menschen wollen hier leben.

Da die Renten nur einen Bruchteil vom vorherigen Verdienst ausmachen, leben viele Familien traditionell und „notgedrungen“ als Großfamilien zusammen. Die Familie hat Priorität, jeder unterstützt jeden. In den letzten Jahren hat sich jedoch ein neuer Trend entwickelt. Viele junge Menschen streben in die größeren Städte und nehmen sich eigene Wohnungen.

Im Südosten des Landes wird die kriegerische Auseinandersetzung mit Aserbaidschan für uns spürbar. Einige Straßen dürfen nicht von uns befahren werden. Der komplette Verkehr – auch der Lieferverkehr mit dem Iran – verläuft nun über kleine Bergstraßen, die zum Teil in den letzten Jahren weiter ausgebaut wurden. Während wir im Westen nichts von dem Konflikt mitbekommen haben, begegnen uns hier vermehrt Militärfahrzeuge.

Mir ist auf der Fahrt durchs Land und den vielen Erzählungen und Beschreibungen unseres Guides Diran bewusst geworden, welch grausame Geschichte Armenien in den letzten Jahrhunderten hatte und wie wenig davon bei mir angekommen ist. 

Für mich kann ich festhalten, dass es ein von mir „vergessenes“ Land ist. Ich bin froh und glücklich durch diese Reise hierfür sensibilisiert worden zu sein.

Die Karawane zieht weiter…

Unser kleines Wanderdorf ist zwischenzeitlich zur Normalität geworden. Fast täglich zieht die Karawane weiter und findet ihren Weg durch die weite Berglandschaft Armeniens.

Ich empfinde es als sehr hilfreich, mich nicht um die Stellplätze bemühen zu müssen, da es immer weniger Campingplätze und Infrastruktur für Wohnmobile gibt. So fahren wir gemütlich von Ort zu Ort, treffen uns manchmal zwischen durch, um etwas anzuschauen und finden uns abends an den angegebenen Koordinaten ein. 

Unterwegs begegnen wir uns immer mal wieder und es ist ein schönes Gefühl von Gemeinschaft und Zugehörigkeit.

Die ersten Coronainfektionen sind ausgestanden und kleinere Reparaturen an einigen Fahrzeugen vorgenommen. Auch hier ist es gut nicht allein unterwegs zu sein… Ich habe das Gefühl, dass ich auf jeden in der Gruppe zählen kann, wenn etwas passiert. Das ist ein schönes Gefühl auf einer solchen Reise.

Nicht mehr gewohnt bin ich allerdings, dass gefühlt von morgens bis abends Programm ist und ich nicht den Zeitplan mitgestalten kann. Die Zeit, die verbleibt, nutzen wir für alltägliche Aufgaben, die Mahlzeiten und zum Bearbeiten unserer Fotos. Ich komme kaum dazu etwas für den Blog zu schreiben oder mir ein paar Notizen zu machen.

Nach wie vor schlauchen mich die hohen Temperaturen, auch wenn es über 2000 Meter abends auch schon mal kühler wurde und ich erstmals nach Wochen wieder ein paar Socken und einen Pulli getragen habe.

Insgesamt war Armenien wahrlich eine Reise wert. Bei einem weiteren Aufenthalt würde ich gern mehr durch diese wunderschöne Landschaft wandern und mehr Zeit in der Natur verweilen.

Sabine
Isfahan, 10.09.2022

Wir freuen uns auf den Austausch mit dir...

Dieser Beitrag hat 2 Kommentare

  1. Edith

    Hallo Ihr Lieben , ich möchte mich bei Euch bedanken . Ihr lässt uns die Zuhause sind mit Euren Eindrücken und Schilderungen auf dieser wunderschönen Reise teilhaben , dass man sich ein bisschen fühlt, wie wenn man mitreisen würde. Liebe Grüsse Edith und Martin

    1. saradevi

      Liebe Edith, lieber Martin,
      wir freuen uns, dass ihr uns digital begleitet. Unser Blog ist eine Einladung zum Mitreisen, auch wenn es diesmal mehr Fotos zu sehen als Zeilen zu lesen gibt. Das Programm ist so umfangreich, dass wir am Abend zu geschafft sind, um neben der Bearbeitung der Fotos noch viel zu Tippen…
      Seit unserem letzten Abend auf Texel, als wir gemeinsam im Paal saßen, sind jetzt 69 Tage vergangen und wir haben über 11.000 Kilometer zurückgelegt. In der nächsten Woche reisen wir nach Pakistan. Das wird sicher auch sehr spannend.
      Wir hoffen, es geht euch gut und ihr genießt das Leben auf unserer Lieblingsinsel in vollen Zügen.
      Liebe Grüße aus Shiraz
      sama